Wir sind drei Autorinnen:

© Carmen Oberst
Marita Lamparter
schaut sich die Menschen genau an. Sie erzählt davon in Dorfgeschichten aus Westfalen und Stadtgeschichten aus Ottensen.

Renate Langgemach kann in ihren Romanen einen Hang zu in Schieflage geratenen Verhältnissen nicht verbergen.

Susanne Neuffer erzählt von Leuten, die sich und andere gern täuschen und meist unruhig unterwegs sind.

Blog 9: Was ist das denn für eine Idee – die Fastenzeit beginnt und wir machen einen Blog zum Thema Essen und Schreiben? Jetzt nur nicht das Netz durchsuchen, selber nachdenken:
Essen wir beim Schreiben? Wovon können wir ohne Bauchweh erzählen? Wenn mein Text eine Speise wäre – was wäre er dann? Pudding? Salzhering? Schweinebraten oder veganes Würstchen? Eine Schachtel voller trockener Kekse?
Jedenfalls haben wir festgestellt, dass wir mehr oder weniger Nahrhaftes in unseren Vorratskammern haben:

Marita Lamparter erinnert sich an Mettwurst und einen merkwürdigen Geschmack aus der Kindheit,
Renate Langgemach erzählt von einem problematischen Fischessen,
Susanne Neuffer treibt ein fieses Spiel mit Zimtwecken.

Im Gästezimmer: Charlotte Richter-Peill

© Silke Goes

Marita Lamparter

Nicht alles was lecker aussieht, schmeckt auch und wenn es noch so gut gemeint ist wie hier in der Geschichte aus den Anfangszeiten des Wirtschaftswunders.

Der Preisskat

Die Dorfkinder drücken sich die Nase an der Schaufensterscheibe platt, aber auch die Erwachsenen gucken neugierig, denn im Schaufenster des Metzgers steht ein großer Präsentkorb aus goldenem Geflecht. „Ob man den Korb tragen kann, der Henkel ist ganz zierlich.“ Das Gebilde ist gefüllt mit Weinflaschen aus dem Moselgebiet, einer Flasche Mariakron, auf der anderen Seite steht eine Ananas mit ihrer spitzen Blätterkrone würdevoll in der Ecke. Dazwischen Dosen und Tüten. „Den sollte ich mal geschenkt kriegen!“, sagt Inges Mutter. „Mein Schwiegervater hat letztes Jahr so einen Korb für besondere Leistungen von seiner Firma bekommen!“, erzählt Frau Kötter stolz. „Donnerwetter! Na, da müssen Sie ja ein herrliches Weihnachtsfest gefeiert haben!“ „Und bei uns war sogar französischer Cognac dabei.“ Frau Kötter kriegt einen roten Kopf. Aber so genau wollen es die anderen nicht wissen: „Schon gut, Frau Kötter.“ Sylvia staunt über die kleine Fahne am Ende des Wurstzipfels. „Eine ungarische Salami“, erklärte jemand und bewundert das geriffelte Honigglas mit dem schönen Etikett auf dem kleine Bienen um einen Bienenkorb fliegen. Und der kleine Mohr in bunten Pluderhosen auf der Schokolade, er schwingt eine Fahne: Vollmilch und Vollmilch Nuss.

Sylvia erzählt zuhause von dem Präsentkorb, von der Schokolade, von der dicken Mettwurst. Sylvias Vater hat eine Idee: „Eine Mettwurst? Das wäre doch gelacht. Am Samstag ist Preisskat in der Schwarzen Katz. Dort hängt eine Mettwurst als großer Preis. Ich bring euch diese Mettwurst mit!“ „Auch Schokolade?“ „Ja, auch Schokolade!“ Mutter Marianne guckt nicht gerade begeistert: „Schon, wieder Kurt? Du bist ja nur noch unterwegs.“ Sie weiß, dass sie wieder den ganzen Abend alleine ist, irgendwann in der Nacht kommt Kurt dann nach Hause. Und wenn sie Helga, die hübsche Kellnerin aus der Schwarzen Katz auf der Straße trifft, grient die sie verschwörerisch-überlegen an. „Ich mache es ja für die Kinder.“ Kurt ist fest entschlossen. „Und wenn du nicht gewinnst, kriegst du dann die Schokolade als Trostpreis?“, fragt der kleine Paul. „Ich verliere nicht“, sagt Kurt voller Gewissheit: „Ich sage euch mal was. Beim Skat mit einem guten Blatt zu gewinnen, ist keine Kunst. Aber mit einem schlechten Blatt zu gewinnen, das macht den Meister.“ Er holt die Spielkarten raus, um seinen Kindern das Skatspiel zu zeigen, aber Marianne geht dazwischen: „Jetzt nicht, die Kinder sollen beim Tischdecken helfen. Schluss jetzt mit den Karten!“ In der Woche vergessen die Kinder die Geschichte mit der Mettwurst und der Schokolade. Am Sonntagmorgen liegen auf dem Esstisch eine dicke Mettwurst und zwei Tafeln Schokolade. „Eine Mettwurst, Papa hat gewonnen! Eine Mettwurst und Schokolade. Er hat alle besiegt, auch mit schlechten Karten!“ ruft Paul stolz und Sylvia jubelt: „Die Schokolade mit dem kleinen Mohr. Das Papier darf ich bestimmt sammeln!“ Mettwurst und Schokolade werden bestaunt.

Beim sonntäglichen Abendessen soll die Mettwurst probiert werden: „Eine gute Mettwurst aus Westfalen. Richtig gut.“ Kurt schneidet für jeden eine dicke Scheibe ab, er gibt die erste Scheibe seiner Frau, um sie gnädig zu stimmen. „Na“, sagt er erwartungsvoll, „es fehlt noch Pumpernickel, den gab es dazu.“ Er geht in den Flur, um den vergessenen Pumpernickel aus der Tasche zu holen. Da hört er Schreie und Ausspucken. „Was ist denn bloß los mit euch? Da bringe ich mal was richtig Gutes mit.“ „Die Mettwurst schmeckt nicht!“ schreit Paul. „Wie Zigaretten!“ Er weint vor Enttäuschung. Marianne guckt betroffen. In der Tat, die Preise für den großen Skatabend hatten den ganzen Advent über, vielleicht noch länger über der Theke in der Schwarzen Katz gehangen. Sie waren tagtäglich nochmals geräuchert worden und auf diese Art mit Nikotin vollgesogen. Marianne ist verärgert und Kurt schaut zur Seite. Die Kinder verdrücken sich schnell mit der Tafel Schokolade. Die Schokolade schmeckt aber nicht nach Rauch, sondern ganz frisch. „Die haben sie später dazu gelegt, die hat nicht in der Kneipe gelegen“, meint Paul sachverständig und packt voller Bedacht die Schokolade aus.

 

Renate Langgemach

Doppelter Frühling

Essen. Was die Literatur betrifft, fallen mir Der Butt und Das Muschelessen ein, Austern als Symbol für Erotisches, die unverdrossenen Staatsanwälte und Kommissare in französischen Krimis, zumindest solchen, die in Frankreich spielen, sie erweisen sich als Kenner von Wein und Champagner, aller großen und kleinen Menüs, die es in Paris gibt oder im Périgord, zeichnen sich aus als Männer von Geschmack, Galanterie und Weltläufigkeit. Dagegen setzt Heine Sauerkraut mit Stockfisch in kluger Butter, frei nach Deutschland ein Wintermärchen.
Dass Literatur selbst Nahrung sein kann, ist ein anderes Thema. Mir scheint sie unerlässlich wie das täglich Brot.

© Silke Goes

Der Textauszug aus meinem Roman Doppelter Frühling erzählt von einem missglückten Fischessen nach kürzlich erfolgter Trennung vom venezianischen Geliebten Enno.

Nahrung ordnet die Zellen. Sorgt für Boden unter den Füßen. Also entscheide ich mich für eine Einzelfeier mit Fisch. In jenem Viersternehaus, das ich bisher gemieden habe.
Im Hotel hole ich das Kleid aus der Tasche, das früher in Ennos Schrank war, Samt in Rostrot, passend zu meinen Haaren, ordne den Wind aus dem Pony, nehme Puder, Lächeln ohne Falten, den Mund hinein gemalt, Spieglein, Spieglein an der Wand.

Ein Buffet lockt in den Fischtempel, Fischleiber stapeln sich zwischen Muscheln und Tomatenhügeln wie die Glastiere hinter den Schaufenstern auf der Rialto.
Hinter dem Buffet ist ein Aquarium. Wenn man so vor der Vitrine steht, dass man sich spiegelt, schwänzeln die Fische in Algengrün einem direkt durch das Gesicht. Guckt gegenüber auch einer, versteht man die Welt nicht mehr. Dieses Wässrige, Schwummrige bläht sich nach hinten, nach vorn wie ein Bildschirmschoner, und ich frage mich, ob die Aquariumsbewohner einen Namen haben, also Paul oder Paula heißen oder Fasch, oder ob sie einem namenlosen Tod entgegen schwimmen. Ich bekomme den Tisch ganz hinten mit Einfachkerze, gegenüber ist die Schwingtür zur Küche, Barsch in Salzkruste wedelt vorbei, ein Meerspritzer fällt auf mein Einmalset, der Kellner riecht nach Stockfisch, ich bestelle mir Langusten und fühle mich wie auf der Kommandobrücke eines Dogendampfers.

Am Tisch nebenan sitzt eine im Kürschnerlook. Blaustein am Mittelfinger, einen Bullkopf an ihrer Seite, dessen Schlips und Kragen sie zurecht zupft. Dann fingert sie an ihrem Pelzumhang, sticht nach den Gräten im Filet und hustet wegen Fellstaub.
Tisch drei unter dem Fenster ist vorgemerkt und kunstvoll mit Servietten verziert, am Tisch vier sitzt ein Herrenquartett, meine Pasta im Fischmantel ist ein Gedicht und der Sud um die Langusten unergründlich. Ich lasse ihn auf der Zunge zergehen, zugegeben, zu zweit wäre es angenehmer, zaubere meiner Nachbarin Schuppen auf ihren Schoß, damit sie etwas zum Putzen hat, Schildkrötenaugen hinter das Lorgnon und Muschelorden an die Schultern.

Keinen Finger hat er nach mir gekrümmt, keine Nachricht im Fiorita, kein Katzenhaar als Andenken auf der Fensterbank, kein Abpassen hinter einem Häuserbogen. Enno ist einfach weg und basta, das ist zu schlucken. Mit meiner Gabel am Stiel bohre ich in die Langustenkrallen, das Fleisch löst sich nicht aus den Zangenspitzen, also nehme ich sie quer, drücke mit den Daumen – und Fisch und Fett sprenkeln über meinen Tisch.
Für Sekunden wird es still in dem Meerestempel. Man hört die Luftblasen im Fischwasser, Blicke streifen mich, bis mich der Kellner aus meinem Missgeschick befreit. Er lässt alles in der Küche knacken, stellt mir ein Fingerschälchen hin, die Dame im Neo-Pelz kehrt zurück zu Traviatacontutto und Majonnaisedipp. Tabletts, Skeletthälften, ausgehöhlte Schalentiere wandern auf ihrer vorgezeichneten Bahn, ich denke an ein Glasherz im Venusfisch, das schlägt in der Vortasche meines Portemonnaies, an Gondeltreiber und goldenes Licht. Ein richtiges Abschiedsessen hätte er mir anstandshalber lassen können, dieser Seelenräuber.

Das Dolce ist ein Eis in Fischform. Zuerst picke ich in seine Nüsse, hebe ihm sein Bäckchen aus, das ist eine Kirsche aus Piemont. Dann möchte ich wissen, ob sein Leib gefüllt ist. Ich entscheide mich für einen Prüfstich durch die Fischmitte, mir rutscht das Messer aus, es macht Zickzacklinien wie mit einer Saumschere, der Fisch zerfällt, mein Kopf wird krebsrot, Muschelberge walzen zum Eingang hin, knapp kann ich beim Zerteilen vom Eisfisch meine Finger verschonen – denn durch die Tür eben dieses Restaurants tritt Enno, gefolgt von einer Dame.

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Susanne Neuffer

Nicht alles, was gut schmeckt, ist bekömmlich, das wissen wir aus den Märchen. Auch die Zimtwecken in der folgenden Geschichte haben offensichtlich eine magische Wirkung.
Nicht verwirren lassen, wenn hier zweimal Enno auftaucht. Dass die beiden männlichen Protagonisten bei Renate und Susanne denselben Vornamen tragen, ist Zufall und hat NICHTS zu bedeuten!

Zimtwecken

Mirja mag keine Frühstücksbüfetts, sie will nicht dauernd aufstehen, durch den Raum gehen, allen Blicken ausgesetzt, auswählen, Sachen ohne Kleckern auf den Teller laden und zum Tisch balancieren. Sie mag kleine dumpfe Frühstückszimmer in hellhörigen Pensionen, in denen eine dralle grauhaarige Wirtin den Tisch vollständig gedeckt hat: zwei Brötchen, ein Ei, Marmelade, bleicher Scheibenkäse, ein Sträußchen Petersilie, das sich am Rand krümmt, ein paar Scheiben Jagdwurst, eine kleine bauchige Kanne Kaffee. Man muss auf keinen Knopf drücken, damit Kaffee in die Tasse fließt. Frühstückbüfetts sind ein Abbild des gesellschaftlichen Zustandes, bieten scheinbare Wahlfreiheit, Überfluss, extreme Individualisierung. Ist das schon mal gedacht worden?
Mirja sitzt Enno gegenüber im Frühstücksraum des Hotels. Hier sind sie, weil etwas mit dem kleinen Fischerhaus am Fjord nicht geklappt hat, falsches Datum, zu frühe Anreise, ein kleiner Umweg hat sich angeboten. Das Hotel ist auf nette Weise ambitioniert: ein bisschen alpin, wie man das hier im Norden gern hat, Ranken und anderes hölzerne Schnitzwerk rund ums Haus, bodenständige Deko, sanfte Musik im Hintergrund, die die Stimmung zurückhaltend manipuliert. Das Haus wird geführt von zwei Wirtinnen, Schwestern vielleicht. Man kann sie - beide rundlich, apfelähnlich strahlend in der Lebensmitte - schwer auseinanderhalten, aber die eine trägt immer eine bodenlange rotkarierte Schürze.
Enno lässt sich Zeit beim Frühstück. Das tut er zu Hause auch, aber da ist das Angebot nicht so vielfältig, und die Zeitspanne ist meist begrenzt. Er probiert sorgfältig alles durch, es sind immer drei bis vier Runden (ohne die Zwischengänge für Vergessenes). Die erste Runde ist eher hektisch, weil reizgesteuert, dann wird sorgfältig geplant. Mirja hat ohne großes Nachdenken einen Teller mit Fischkonserven und Essiggurken belegt, einen Becher Kaffee geholt und ist nun mit dem Frühstück durch.
Iss doch noch was, sagt Enno. Nachher kriegst du gleich wieder Hunger.

Das klingt ein bisschen nach früher Nachkriegszeit, aber die ist lange vorbei. Man muss sich nicht unbedingt sattessen muss, nur weil der Tisch sich biegt. Mirja kann keine Nahrung bunkern. Noch nicht. Das geben die Verhältnisse nicht her. Natürlich bekommt sie bald wieder Hunger, muss dann eine Stunde vor dem Abendessen schnell etwas Pappiges, Fettes in einem Bistro oder an der Tankstelle kaufen, während Enno beteuert, noch unglaublich satt vom Frühstücksbüfett zu sein.

Das Beobachten der anderen Gäste, die sich unsystematisch die Teller vollladen, bringt nicht viel. Da ist Enno schon planvoller. Dem anarchischen ersten Gang mit buntem Durcheinander auf dem Teller folgt üblicherweise ein konventionelles Arrangement von Brot, Brötchen, Ei und Wurst, manchmal ergänzt durch Bacon und die in roter Sauce schwimmenden Bohnen, der dritte Gang ist ein Käse-Marmelade-Experiment und die süße Schlussrunde ist offen für Müsli und Kuchen. Man weiß, dass der Kuchen von gestern ist und nun entsorgt wird, aber er steht auf einem hochbeinigen Tablett als eine ganz besondere morgendliche Gabe.

Enno ist bei der zweiten Runde und prüft die Qualität der Brötchen und des Brotes. Wieder kein Vollkorn, natürlich. Das können sie hier oben nicht, denkt er jetzt, denkt sie. Und findet es nett, dass er es nicht sagt. Das weiche Brot auf dem Büfett hat ein rosa Stoffkleid an, damit man es beim Abschneiden nicht berühren muss. Es sieht aus wie ein rehbrauner Pinscherrücken mit Röckchen.
Mirja sucht auf ihrem Smartphone, ob es etwas Schlaues zum Thema gibt. Das Frühstücksbüfett in der Literatur. In der Kulturwissenschaft. Nichts. Es werden ihr nur literarische Frühstücke in kleinen feinen Cafés angeboten, aber das bringt ja nichts. Figuren in Romanen und Filmen frühstücken selten, und wenn, treten sie sofort ein Drama los, bei dem ein heulendes Kind seine Cornflakes durch die Küche wirft oder einer sagt: Ich muss jetzt los. Es würde auch nichts bringen, Enno etwas Passendes vorzulesen, während das Rührei in seinem silbernen Sarg vor sich hin trocknet und die Kaffeemaschine nach Reinigung ächzt.
Mirja wird unruhig, Enno merkt es. Dreh doch noch eine Runde, sagt er.
Du auch, sagt sie, nimmt ihre Jacke, streicht ihm über die Schulter und geht aus dem fast leeren Frühstücksraum, als die rotkarierte Wirtin mit einer großen silbernen Platte voller Zimtwecken aus der Küche kommt. Mirja geht hinaus in den Flur, an einem Wäschewagen vorbei. Wäschewagen haben eine bedrohliche Aura, sie gehören in die Welt des Verbrechens, des Verbergens. Nicht hinschauen, man muss nicht wissen, was Bettwäsche und schmutzige Handtücher erzählen.

Jetzt steht sie vor dem Hotel. Es ist windig mit Sonne, Aufenthaltswetter sagen sie hier in ihrer Sprache dazu, die Jacke wird gerade so reichen.
Sie könnte zum See gehen, über den sich eine Nebelschlange zieht, aber dann geht sie in die entgegengesetzte Richtung, die Schotterstraße den Berg hinauf. Das Sonnenlicht flimmert verhalten zwischen den Bäumen durch. Licht, das durch Zweige flimmert, verspricht Spirituelles, Märchenhaftes, eine Erscheinung. Die Dinge haben heute offenbar ein großes Bedürfnis sich mitzuteilen.
Es ist gut, nur wenig im Magen zu haben, wenn der Weg bergauf führt.

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Gästezimmer

In unser Gästezimmer haben wir diesmal Charlotte Richter-Peill eingeladen.

Sie schreibt unter eigenen Namen und dem Pseudonym Charlotte Richter. Sie wurde 1969 in Nürnberg geboren und lebt heute in Kattendorf bei Hamburg. Während des Studiums begann sie mit dem Schreiben und sattelte nach ersten Veröffentlichungen im Hörfunk ganz auf den Beruf der Autorin um. Für den Hörfunk schreibt sie noch heute, inzwischen sind neun Romane hinzugekommen. Einmal erhielt sie ein Literaturstipendium der Kulturstiftung Café Royal, zweimal ein Stipendium des Landes Schleswig-Holstein, dreimal den Hamburger Förderpreis für Literatur. Viermal im Lotto gewonnen hat sie leider nicht. Seit 1995 ist der Writers‘ Room e.V. neben dem heimischen Schreibtisch ihr zweites kreatives Zuhause. Zuletzt erschien ihr Jugendroman „Hidden Lies“ (Arena Verlag, 2022).
www.charlotte-richter-peill.de


Liebe Charlotte, als wir über Essen und Schreiben nachdachten, fiel mir dein Buch „Die Köchin“ ein. Da hat Essen und das Zubereiten von Essen ja etwas Unheimliches, dahinter verbirgt sich Gruseliges, das aufgedeckt werden muss. Wie kam es zu diesem Thema?

Wenn ich esse, steht dahinter nicht selten der Wunsch, unangenehmen Gefühlen „das Maul zu stopfen“ oder ein verdrängtes Bedürfnis zu füttern. Natürlich esse ich auch, um schlichtweg satt zu werden, aber gerade diese zweite Ebene des Essens hat mich damals beim Schreiben sehr interessiert. Auch, wie wir durch Kochen und Essen manipulieren können, denn genau das tut die Hauptfigur: Kochen ist ihre Strategie, um Menschen entsprechend ihren eigenen Wünschen zu beeinflussen. Mit Folgen, die bei der Auswahl der Zutaten nicht vorgesehen waren. „Die Trüffel gehörten zum Besten, was sie je in der Küche zubereitet hatte, süß und weich, sorgend und immer zum Trösten bereit.“

Manche literarischen Tischszenen und Geschichten vom Essen bleiben einem ja lange im Gedächtnis. Hast du da eine bestimmte Erinnerung, zum Beispiel an Märchen, Kinderbücher?

Als Kind habe ich die Abenteuer-Serie von Enid Blyton geliebt. Darin gab es unendlich viele Picknicks und Dosenmahlzeiten; ich glaube, nirgends werden so viele Dosenpfirsiche verzehrt wie in diesen Büchern. „Michel“ von Astrid Lindgren ist mir des Essens wegen auch in intensiver Erinnerung, die Speisen fand ich teilweise sehr seltsam und gruselig: Fischpudding und Blaubeersuppe. Oder Blutklöße.

Deine Protagonistinnen in sind in den neueren Büchern oft sehr junge Frauen, die große Herausforderungen (auch in Parallelwelten) bewältigen müssen. Essen die überhaupt noch? Oder kämpfen sie auch ohne Nahrungszufuhr? Was für ein Körpergefühl gibst du ihnen mit?

In meinem Roman „Die Muschelsammlerin“ hat sich meine Lektorin tatsächlich gewünscht, dass ich das Essen reduziere. In „Gemma“ und „Hidden Lies“ habe ich selbst (ein wenig) darauf geachtet, dass nicht zu oft gegessen wird. Mir war aber in allen Büchern wichtig, dass die jungen Frauen gern und mit Genuss essen, dass wenigstens das Essen für sie etwas Unbelastetes ist und auch mal Trost sein darf, ohne dass das gleich zum Problem wird.

Hier kocht Charlotte

Wenn du so richtig im Schreib-Flow bist: Muss ein Haferriegel genügen oder kochst du dir dann „was Richtiges“? Gibt es Ähnlichkeiten bei den Vorgängen des Schreibens und Kochens (z.B. mit oder ohne Plan)?

Bei mir muss es was Richtiges sein, Kleinigkeiten genügen mir nicht, und schon gar kein Salat. Ich bin ziemlich Kohlenhydrate-fixiert. Und wohl keine Autorin, der die Kunst das Brot ersetzt. Weil mir das Schreiben einer Erstfassung große Mühe bereitet, freue ich mich meist über (längere) Essenspausen. Dass ich das Essen vergesse, passiert mir dann eher beim Überarbeiten und Umschreiben eines Textes. Während des Schreibens essen, das habe ich mir abgewöhnt. Seither sieht meine Tastatur viel besser aus.

...und auf welches neue Projekt hast du gerade „Appetit“?

Derzeit arbeite ich am Konzept für einen Roman, der sich wieder an Erwachsene richtet und in dem es um die Erfahrung von Einsamkeit geht. Ich stelle mir eine Protagonistin vor, der angesichts von Schmerz und Überforderung eine doppelte Portion Bratkartoffeln zuweilen mehr Halt bietet als ein Therapeut. Insofern wird wohl auch in diesem Text gegessen werden.

Schon mal vormerken:

Samstag, 18.3.2023
Susanne Neuffer
Lesefrühstück zusammen mit Charlotte Ueckert
im Hotel Wedina
Frühstück ab 11 Uhr, Lesung ab 12 Uhr
Näheres demnächst auf den Seiten des Literaturzentrums und des Hotels Wedina:
www.hotelwedina.de und www.lit-hamburg.de
Anmeldung unbedingt erforderlich!
Per Mail an lit@lit-hamburg.de oder Tel. 040 207 69 037

Sonntag 21. Mai 2023 um 12 Uhr
Freitag 26. Mai 2023 um 15 Uhr
Renate Langgemach
liest Lyrik
auf der Kulturellen Landpartie
im Wendland

Atelier Julia da Franca
Gedelitz 39
29494 Trebel