Marita Lamparter
Schwein gehabt

(aus: Dorfgeschichten)

 

Gleich nebenan ist der Schweinestall. Das Holz ist schon spröde und grau verwittert. Im Stall gibt es eine Wäscheleine für Wäschestücke, die nicht jeder sehen soll. Die Wäsche riecht gut, wenn sie abgenommen wird und in der Küche liegt.
Zum Schweinestall gehört das Freigehege, ein buckliges matschiges Gelände, dort liegen die Schweine in der Sonne. Ein friedliches Bild. Sylvia hört ihr Grunzen. Obwohl sie ein ängstliches Kind ist, geht sie gerne zum Schweinestall, sie sitzt auf dem Zaun. Die Schweine grunzen und wühlen in der Erde. Meistens schlafen sie. Sie sind einfach da. Sie grunzen, wühlen und fressen.
Ihr Grunzen hört sich wie Zustimmung an. Die anderen sind blöd, denkt Sylvia, warum bloß? Immer wieder ist die Mutter ungerecht, bevorzugt die Brüder. Das streitet Mutter ab, und das macht es noch schlimmer. Sogar die Schweine wissen um diese Ungerechtigkeit. Sie kommen näher zu Sylvia und legen sich ihr fast zu Füßen. Sie stinken so warm, dass es ihr den Atem nimmt, aber das ist Sylvia jetzt egal.
Einmal hatte sie Oma sagen hören, wie sie zur Mutter, ihrer Tochter, sagte, du bist zu den Mädchen viel strenger, das werden dir die Jungen nicht danken. Aber Mutter schüttelte nur den Kopf, ich ziehe keines der Kinder vor, sagte sie trotzig.
Pah, denkt Sylvia, selbst die Schweine wissen es besser. Und der Pastor hatte mitfühlend geatmet, als Sylvia ihre Neid- und Wutgefühle im Beichtstuhl vortrug. Du sollst Vater und Mutter ehren. Aber wenn die so blöd sind, ist das gar nicht leicht.
Sylvia ist auch heute wieder in den Schweinestall gelaufen, geflohen. Mutter hat wieder den Brüdern geglaubt, sie hat Sylvia noch nicht einmal gefragt, wieso das Missgeschick passieren konnte. Zum Schluss war Sylvia schuld daran, dass die Tassen kaputt waren, obwohl sie gar nicht zu dem Zeitpunkt in der Küche gewesen war. Aber Sylvia hätte eben das Geschirr vorher wegräumen sollen. „Denk doch mal mit“, sagte die Mutter vorwurfsvoll, dann griff sie mit harten Bewegungen zum Besen, um die Scherben zusammen zu fegen. Die Brüder grinsten frech und verlegen, sie spürten auch, dass das ungerecht war. Sylvia ist einfach rausgelaufen, sie wollte nicht vor Mutter und den Brüdern in Tränen ausbrechen. Sie ist zu Bauer Kötter rüber, direkt in den Schweinestall gelaufen. Dort ist sie allein. Nicht ganz allein. Mit den Schweinen natürlich. Die wissen, was Unrecht ist.
Sylvia hat noch das angstvolle Quieken vom letzten Jahr im Ohr. Trotzdem hat ihr die frische Wurst geschmeckt. Sylvia weint nun. Endlich.
Die Schweine schauen sie mitfühlend an. Einen Moment glaubt Sylvia, dass die Schweine ihr etwas sagen wollen.

Vielleicht einen Satz wie: Das Leben ist manchmal wunderlich.