Susanne Neuffer: „Ich mag den 'Rausch' des Kürzens beim Bearbeiten meiner Geschichten - sie werden dann deutlicher, auch für mich.“

Revision

Du hast einen Text geschrieben. Das geschieht täglich, dazu sind wir da. Da der Text in unsere Zeitschrift soll (grobes Papier, sparsames entschiedenes Design, winzige Auflage), bin ich mitverantwortlich, denke ich. Oder nicht?
Ich sollte den Text wenigstens verstehen, es geht nicht um mein ästhetisches Urteil. Wir pfuschen uns nicht gegenseitig in die Suppe.
Ich verstehe den Text nicht. Seine grellen Bilder springen mir kühn in den Kopf, aber ich kriege sie nicht zusammen zu einem Satz, der mir die Frage aller Fragen beantwortet: Was will uns DER TEXT, was will uns DIE AUTORIN sagen?
Soll ich fragen? Welche Blamage. Da ist ein Text, der etwas wagt (sagen sie in Klagenfurt), und ich stelle die Sinnfrage. Ich würde gerne um eine Inhaltsangabe bitten, wenn das nicht so peinlich wäre.
Ich krame in meinem Archiv, das nach Auflösung oder einem Staubsauger schreit, und finde das blaue Buch über Methodendiskussion, das ich im ersten Semester ratlos bearbeitet habe. Das heißt, ich habe dort viele Sätze unterstrichen. Sofort stellt sich das müde Nachmittagsgefühl ein: Seminarraum, Sonnenstäubchen, kluge Doktoranden, die das letzte Wort haben.
Im Angebot war auch das Kapitel Formalismus/Strukturalismus: Elemente, Bezüge, Oppositionen. Ich verstand das Kapitel nicht. Es wurde nur kurz abgehandelt, dann segelten wir unter großem Rauschen in den sicheren Hafen der marxistischen Literaturwissenschaft ein, die Lotsenboote der Doktoranden und höheren Semester fuhren vorneweg oder blieben längsseits, wir brachen nicht aus. Eine Weile war alles recht einfach.
Draußen, auf einer Insel im Meer des wilden Denkens hatte Lévi-Strauss gestanden, langsam ein Gericht bereitend, aus Rohem und Gekochtem. Er ist der einzige, an den ich mich erinnern kann. Da ich seine Einladung zum Strand- Büfett fahrlässig ausschlug verstehe ich nun deinen Text nicht.
Denk nicht, dass ich aufgebe. Ich muss nur erst meinen Werkzeugkasten öffnen, entstauben, das übersehene Besteck herausholen und putzen. Aber dann.

 

Kurz 1

Friseur spielen: eine Bastelschere reichte dem Kind, um die Damen aus dem Quellekatalog zu bearbeiten. Arme und Beine wurden ihnen nicht abgeschnitten (obwohl es in der Realität genügend Beispiele für Einbeinige und Einarmige gab, das waren jedoch Männer). Aber die Haare konnte man ihnen kürzen, warum sollten die lange Haare haben, wenn das Kind immer mit diesem praktischen Jungshaarschnitt herumlaufen musste. Und es hätte doch so gerne lange schwarze Locken gehabt und Manuela geheißen.
Einmal schnitt es sich selbst entschlossen den Pony ab, erzählt die Familienlegende, so kurz, dass der Friseur nichts mehr ausrichten konnte. Auch der wunderschönen Puppe mit den Echthaaren und dem starren Blick wurden die Zotteln gestutzt.
Was dahinter steckt? Nichts für Tiefenpsychologen. Nur ein tiefsitzender Berufswunsch, der sich nicht erfüllte.

 

Kurz 2

Einmal ein Kleid von Marimekko gehabt, oder jedenfalls eine Imitation. Große schwarze Kreise auf Weiß, und das Kleid so kurz, dass man sich bei der Ferienarbeit in der Bank nicht richtig über die Kästen mit den Überweisungsformularen beugen konnte, ohne zuviel von den kräftigen Schenkeln zu zeigen. Äußerlich auf der Höhe der Zeit, aber ständig am Zupfen. Was so alles geschieht auf der Carnaby Street.

 

Kurz 3

Die Lektorin hat meine Füllwörter markiert: auch, aber, noch, eigentlich, schon. Wir beugen uns entschlossen über den Text. Am Ende haben wir 20 Seiten Papier gespart. Wir reichen den Text für den Großen WaldBadePreis ein und warten auf unsere Belohnung.