Marita Lamparter
Im Garten
Clarissa fragte sich, ob das wirklich eine gute Idee war, die beiden Nachbarjungs von drüben zu bitten, die Gartentische, Stühle und Bänke aufzustellen. Denn sie sah jetzt, dass die Jungen ungelenk, mit zu viel Kraft und knallenden Geräuschen die Biergartenbänke wuchteten als seien es Brückenpfeiler, dazu machten sie alberne Bemerkungen und Handyfotos.
Ich muss unbedingt in ihrer Nähe bleiben und die beiden dirigieren, sonst kann ich später alles wieder neu aufstellen, dachte sie.
Die Brüder Jonas und Kasper waren wie angestochen vom Honorar und der jugendlichen Eile, möglichst schnell wieder zu gehen. Vor einem Jahr war das noch ganz anders gewesen, da zeigten sie sich so bemüht und warteten auf ihre Anweisungen. Sogar über den Schokoladenkuchen zum Schluss hatten sie sich gefreut.
„Die Halterung muss ganz sicher eingerastet sein! Darauf müsst ihr achten“, rief sie ihnen zu.
„Das machen wir doch nicht zum ersten Mal!“ Jonas und Kasper hatten erneut einen Grund zu einem Lachanfall. Clarissa hoffte nun, dass ihr Vater noch rechtzeitig auftauchen würde, denn Michael hatte sich bereit erklärt die Lichterkette aufzuhängen. Vielleicht schaffte er es, seine Söhne in einen anderen Modus zu bringen.
Sie ging zurück zur Terrasse und schaute von oben in ihren Garten.
Das Haus stammte aus den zwanziger Jahren, die Terrasse war noch original mit Natursteinen ausgelegt. Die Steinplatten und Fugen waren in einem einwandfreien Zustand, nur in der rechten Ecke stach ein dunkler Säurefleck ins Auge. „Einmalig“, hatte damals der Makler beim Kauf gesagt, „Das ist richtige Kunst, der Besitzer damals hat italienische Handwerker kommen lassen. So eine Terrasse finden Sie in Hamburg kein zweites Mal!“ Durch die abgerundete linke Seite schmiegte sich die Terrasse wie eine natürliche Ebene ans Haus und die Pflanzenwand schützte vor Blicken und Wind.
Ralf war damals ungeduldig, er wollte den Keller, die Heizungsanlage und die oberen Zimmer sehen. Clarissa spürte, wie er innerlich die Augen verdrehte. „Die Terrasse ist wirklich wunderschön, aber zeigen Sie uns doch bitte zunächst das Obergeschoss.“
Um Clarissa war es aber geschehen, sie wollte auf der Terrasse bleiben, die Natursteine, die italienischen Handwerker, die Pflanzen, sie fühlte sich in ein südländisches Dorf versetzt, sie hatte ihren Ort gefunden. Die wuchtigen Gartenmöbel würden sie austauschen, andere Pflanzen, Oleander natürlich. Den seltsamen Teich, den würde sie zuschütten.
Später fragte sie sich, ob der Makler sie als „Terrassentyp“ eingestuft und ihnen deshalb zuerst den Wohnraum mit Terrasse gezeigt hatte. Ralf machte bei Partys immer gerne Witze über die teuerste Terrasse Hamburgs: “Das Haus ist eigentlich nur Anhängsel einer Terrasse!“
Diese Terrasse wurde im Laufe der Jahre zu einem wichtigen Fixpunkt im Freundeskreis. Jedes Jahr gab es ein großes Gartenfest. Eigentlich war dafür der Garten viel zu klein und Clarissa befürchtete jedes Mal, dass ihre Stauden in Gefahr wären, zertrampelt zu werden.
Ihre Stauden, ein Thema für sich. Jahrelang hatte sie Stauden gesammelt, war zu Ausstellungen gefahren und im Laufe der Jahre war aus dem norddeutschen Garten ein englischer Garten geworden.
Seit zwei Jahren ließ ihr Interesse nach, im letzten Jahr hatte sie den Garten sich selbst überlassen, jetzt sah er noch gezähmt verwildert aus, aber das mangelnde Interesse schien er schon übel zu nehmen. Das schöne weiße Schleierkraut ließ sich nicht mehr blicken und der Rittersporn war auch weniger geworden, nur der Phlox kümmerte sich nicht weiter und gedieh sogar besser und die Zitronenmelisse nutzte es unverschämt aus, sich endlich ausbreiten zu können.
Clarissa, die von sich das Bild der begeisterten Gärtnerin jahrelang gepflegt hatte, staunte über ihre eigene Robustheit. Jetzt müsst ihr selber eine Weile klarkommen, ihr lieben Pflanzen. Für den Herbst nahm sie sich jedoch wieder eine Gartenwoche vor, vielleicht würde ihr ja Tatjana dabei helfen.
Der Garten stellte immer wieder seine Ansprüche an sie, vielleicht sollte sie ihn etwas pflegeleichter umgestalten. Wenn sie nur daran dachte, wie selten sie in diesem Jahr auf der schönen Bank gegenüber der Terrasse gesessen hatte, eigentlich nur wenn Besuch kam. Dabei sah alles so einladend aus. Ihr ganzer Stolz, die Gartenbank mit dem Namen Sissinghurst, bestellt aus einem englischen Gartenkatalog. Für die Bank, ein Geschenk zu ihrem 50. Geburtstag, hatten alle zusammengelegt. Sie kam aus England aus einer Manufaktur, die sich auf historische Gartenmöbel spezialisiert hatte. Auf so einer Bank haben schon Vita Sackville West und Virginia Woolf gesessen und Gedichte gelesen. Ihre Familie und die Freunde amüsierten sich wieder einmal über ihre Vorliebe und ihr Interesse an der Bloomsbury-Gruppe.
Ihre Freude war damals grenzenlos gewesen.