Marita Lamparter
Nicht alles was lecker aussieht, schmeckt auch und wenn es noch so gut gemeint ist wie hier in der Geschichte aus den Anfangszeiten des Wirtschaftswunders.
Der Preisskat
Die Dorfkinder drücken sich die Nase an der Schaufensterscheibe platt, aber auch die Erwachsenen gucken neugierig, denn im Schaufenster des Metzgers steht ein großer Präsentkorb aus goldenem Geflecht. „Ob man den Korb tragen kann, der Henkel ist ganz zierlich.“ Das Gebilde ist gefüllt mit Weinflaschen aus dem Moselgebiet, einer Flasche Mariakron, auf der anderen Seite steht eine Ananas mit ihrer spitzen Blätterkrone würdevoll in der Ecke. Dazwischen Dosen und Tüten. „Den sollte ich mal geschenkt kriegen!“, sagt Inges Mutter. „Mein Schwiegervater hat letztes Jahr so einen Korb für besondere Leistungen von seiner Firma bekommen!“, erzählt Frau Kötter stolz. „Donnerwetter! Na, da müssen Sie ja ein herrliches Weihnachtsfest gefeiert haben!“ „Und bei uns war sogar französischer Cognac dabei.“ Frau Kötter kriegt einen roten Kopf. Aber so genau wollen es die anderen nicht wissen: „Schon gut, Frau Kötter.“ Sylvia staunt über die kleine Fahne am Ende des Wurstzipfels. „Eine ungarische Salami“, erklärte jemand und bewundert das geriffelte Honigglas mit dem schönen Etikett auf dem kleine Bienen um einen Bienenkorb fliegen. Und der kleine Mohr in bunten Pluderhosen auf der Schokolade, er schwingt eine Fahne: Vollmilch und Vollmilch Nuss.
Sylvia erzählt zuhause von dem Präsentkorb, von der Schokolade, von der dicken Mettwurst. Sylvias Vater hat eine Idee: „Eine Mettwurst? Das wäre doch gelacht. Am Samstag ist Preisskat in der Schwarzen Katz. Dort hängt eine Mettwurst als großer Preis. Ich bring euch diese Mettwurst mit!“ „Auch Schokolade?“ „Ja, auch Schokolade!“ Mutter Marianne guckt nicht gerade begeistert: „Schon, wieder Kurt? Du bist ja nur noch unterwegs.“ Sie weiß, dass sie wieder den ganzen Abend alleine ist, irgendwann in der Nacht kommt Kurt dann nach Hause. Und wenn sie Helga, die hübsche Kellnerin aus der Schwarzen Katz auf der Straße trifft, grient die sie verschwörerisch-überlegen an. „Ich mache es ja für die Kinder.“ Kurt ist fest entschlossen. „Und wenn du nicht gewinnst, kriegst du dann die Schokolade als Trostpreis?“, fragt der kleine Paul. „Ich verliere nicht“, sagt Kurt voller Gewissheit: „Ich sage euch mal was. Beim Skat mit einem guten Blatt zu gewinnen, ist keine Kunst. Aber mit einem schlechten Blatt zu gewinnen, das macht den Meister.“ Er holt die Spielkarten raus, um seinen Kindern das Skatspiel zu zeigen, aber Marianne geht dazwischen: „Jetzt nicht, die Kinder sollen beim Tischdecken helfen. Schluss jetzt mit den Karten!“ In der Woche vergessen die Kinder die Geschichte mit der Mettwurst und der Schokolade. Am Sonntagmorgen liegen auf dem Esstisch eine dicke Mettwurst und zwei Tafeln Schokolade. „Eine Mettwurst, Papa hat gewonnen! Eine Mettwurst und Schokolade. Er hat alle besiegt, auch mit schlechten Karten!“ ruft Paul stolz und Sylvia jubelt: „Die Schokolade mit dem kleinen Mohr. Das Papier darf ich bestimmt sammeln!“ Mettwurst und Schokolade werden bestaunt.
Beim sonntäglichen Abendessen soll die Mettwurst probiert werden: „Eine gute Mettwurst aus Westfalen. Richtig gut.“ Kurt schneidet für jeden eine dicke Scheibe ab, er gibt die erste Scheibe seiner Frau, um sie gnädig zu stimmen. „Na“, sagt er erwartungsvoll, „es fehlt noch Pumpernickel, den gab es dazu.“ Er geht in den Flur, um den vergessenen Pumpernickel aus der Tasche zu holen. Da hört er Schreie und Ausspucken. „Was ist denn bloß los mit euch? Da bringe ich mal was richtig Gutes mit.“ „Die Mettwurst schmeckt nicht!“ schreit Paul. „Wie Zigaretten!“ Er weint vor Enttäuschung. Marianne guckt betroffen. In der Tat, die Preise für den großen Skatabend hatten den ganzen Advent über, vielleicht noch länger über der Theke in der Schwarzen Katz gehangen. Sie waren tagtäglich nochmals geräuchert worden und auf diese Art mit Nikotin vollgesogen. Marianne ist verärgert und Kurt schaut zur Seite. Die Kinder verdrücken sich schnell mit der Tafel Schokolade. Die Schokolade schmeckt aber nicht nach Rauch, sondern ganz frisch. „Die haben sie später dazu gelegt, die hat nicht in der Kneipe gelegen“, meint Paul sachverständig und packt voller Bedacht die Schokolade aus.