Diesmal sieht unser BLOG anders aus: Eine Autorin. Ein Buch. Ein Gespräch darüber. Zwei Fotos.

Das liegt nicht nur am Sommer, der Hitze, den Bränden in den Wäldern und im Osten Europas:
Im April dieses Jahres ist das Buch Sandstein.Zwei Novellen von Susanne Neuffer im MaroVerlag erschienen.

Wir kennen Susanne Neuffer vor allem als Erzählerin von Kurzgeschichten. Im Gespräch möchten Marita Lamparter und Renate Langgemach herausfinden wie es war, eine weitere schriftstellerische Erfahrung - etwas zwischen kurz und lang - zu machen.

Wir sind drei Autorinnen:

© Carmen Oberst
Marita Lamparter
schaut sich die Menschen genau an. Sie erzählt davon in Dorfgeschichten aus Westfalen und Stadtgeschichten aus Ottensen.

Renate Langgemach kann in ihren Romanen einen Hang zu in Schieflage geratenen Verhältnissen nicht verbergen.

Susanne Neuffer erzählt von Leuten, die sich und andere gern täuschen und meist unruhig unterwegs sind.

Marita: Wir treffen uns mit der Gruppe schon seit etlichen Jahren, stellen unsere Texte vor, diskutieren und kritisieren, haben in Coronazeiten diesen BLOG gestartet, und, und. Manchmal hast du, Susanne, erwähnt, dass du ein Manuskript in der Schublade hast. Ein längeres. Wir bekamen es nie zu sehen. Manchmal hast du Andeutungen gemacht über diesen Text, der in Fürth, deiner Heimatstadt, spielt. Von einem Sanitärfachmann - mal eine ganz andere literarische Figur - war die Rede, der auf Recherche nach was auch immer ist. Und vom jüdischen Schriftsteller Jakob Wassermann. Spannend und geheimnisvoll.
Aber jetzt – Vorhang auf – ist das Manuskript ein Buch geworden mit zwei Novellen. Sandstein.

Du hast mit Schnee in Teheran schon einmal einen Roman geschrieben, dann lange Zeit nur Kurzgeschichten. Was war anders auf dem Weg zu den Novellen? Für meine Arbeiten ein riesiger Sprung, länger als in kurzen Erzählungen eine Spannung und das Personal beieinander zu halten. Von außen betrachtet meinte ich auch einen Unterschied deiner Arbeitsweise beobachten zu können, nicht nur was den Zeitraum der Entstehung betrifft.

Susanne: Es war mühsam, herausfordernd auf mehreren Ebenen – jedenfalls, was Sandstein betrifft, die titelgebende Novelle. Zum einen ist da die Zeitstruktur. Mehrmals habe ich am Aufbau herumgeschoben: Retrospektiv erzählen oder linear? Geholfen hat mir dann die Vorstellung einer Etagere, eines dreistöckigen Porzellangestells, auf dem sich die Jahre 1926, 1929/30 und 2014 befinden. Allerdings – und da stimmt das Bild schon nicht mehr - geistern einige Figuren durch alle Textebenen. Zum anderen war da die Thematik Familiengeschichte/Spurensuche. Dieses Muster wollte ich nicht bedienen, und deshalb wurde mein Protagonist in dieser Hinsicht auch etwas störrisch.

Renate:Das ist deutlich geworden und geschickt gelöst. Die Familiengeschichte Konrads ist mit jüdischer Geschichte verwoben, in Novelle zwei unauffällig eingefädelt, mit wohltuendem Abstand weiterverfolgt. Kannst du etwas dazu sagen, wie dir das gelungen ist?

Susanne: Das entscheidende Stichwort ist – Abstand. Überhaupt ist Abstandhalten eine der wichtigsten Kulturtechniken, denke ich. Abstandhalten vom eigenen Schreiben, von der eigenen Geschichte und der Versuchung zu anmaßender Einfühlung.

Marita: Die erste Novelle heißt Flussbett oder Erzähl, damit meine Zeit vergeht. Es geht um den sterbenskranken D. Eine Geschichte vom Sterben, aber erzählt wird vom prallen Leben. Altersthemen werden ironisch gebrochen, das gefällt mir sehr gut. Janna denkt laut: „Ich zum Beispiel verliere Menschen. Es wird sich bitter rächen. Im Alter muss ich allein im Einkaufszentrum herumhängen und auf Kaffeefahrten gehen.“
Macht dir diese Vorstellung Angst? Aber eigentlich wären Kaffeefahrten doch ein idealer Fundus für dich.

Susanne: Flussbett spielt ja am Ende der neunziger Jahre, die Figuren können die Vorstellungen von Alter und Tod manchmal noch leicht ironisch von sich schieben, weil sie noch ein paar (unpräzise) Erwartungen an ihre Gegenwart haben.
Persönlich finde ich „Alter“ ein faszinierendes Thema, ab und zu gibt es da etwas in meinen Kurzgeschichten. Aber ich denke, dass hier eine gewisse Gefahr besteht, ins Klischee zu verfallen – sich eben über Kaffeefahrten und Herumsitzen in Einkaufszentren zu äußern. Da tut sich auch die „Klassenfrage“ auf: Wer kann sich was noch leisten, gesundheitlich, finanziell? Wie glücklich sind die Senioren, die in knappen bunten Höschen auf Elektrorädern durch die Welt strampeln? Ist für die anderen das Einkaufszentrum vielleicht der einzige Platz, wo es warm ist, den man noch erreichen kann, wo etwas los ist?
Aber noch mehr interessiert mich (literarisch) die Generation der jetzt 40-jährigen: Kriegen sie es hin, in der Gegenwart zu leben, oder warten sie dauernd darauf, etwas in Sachen Familie und Job geschafft zu haben?

Marita: Konrad Schattenhofer hat mehrere Aufträge, mit denen er nach F. reist, zu erledigen, nicht nur die Erneuerung der Sanitäranlagen des städtischen Theaters. Er ist überfordert, kann nur scheitern. Macht er sich auch was vor, wie viele deiner Figuren in den Erzählungen?

Susanne: Er hat ein gewisses Talent, Dinge nicht zu tun, die man von ihm erwartet, das gefällt mir an ihm. So gesehen macht er sich weniger vor als die Figuren in meinen Kurzgeschichten.

Marita: In der letzten Phase des Buches habe ich die Seite der sehr fokussierten Autorin an dir kennengelernt. Was hat das intensive Lektorieren und Korrigieren mit dir und den Texten gemacht?

Susanne: Ich war verblüfft, wie viele Fehler man am eigenen Text übersehen kann, auch wenn man glaubt, das Handwerkszeug zu beherrschen. Ich habe das Glück, im MaroVerlag zu veröffentlichen, in dem sorgfältig korrigiert und lektoriert wird (Sarah Käsmayr war da so unerbittlich wie geduldig), in dem ich aber inhaltlich große Freiheit habe. Mein Text wurde nicht angetastet, aber von zahlreichen Füllwörtern und einigen Wiederholungen habe ich mich verabschiedet. Die letzte Phase in Schnee(!) und Mittelgebirgseinsamkeit war anstrengend, aber am Ende konnte ich beide Texte auch „sehen“ als etwas real Existierendes.

Renate: Nach Jahren hat dein Verlag nach deinen Novellen gefragt. Wie hast du die zeitaufwendige Textarbeit inclusiv Recherche und das Warten bis zur lange ungewissen Veröffentlichung ausgehalten?

Susanne: Ich habe das Projekt „Sandstein“ immer wieder von mir weg und und vor mir her geschoben. Kurzgeschichten-Plots drängten sich nach vorne, ein willkommener Ausweg. Die beiden letzten Erzählbände In diesem Jahr der letzte Gast und Im Schuppen ein Mann sind so entstanden. Und ich habe in dieser Zeit gerne die Texte anderer gelesen (auch eure) und kommentiert – was sehr entlastend war.

Marita: Eine Frage mit ganz persönlichem Interesse: Wie war das Arbeiten mit den Figuren? Es sind ja nicht gerade wenige.

Susanne: Für beide Novellen gilt – wie wahrscheinlich grundsätzlich für meine Prosa und wahrscheinlich für die Arbeitsweise der meisten Autoren – dass eine Figur sich zusammensetzt aus Elementen realer Personen und ungeniertem Erfinden. Ich bin ja ein Fan von Siri Hustvedt und ihrer Formel von „memory“ und „imagination“, man muss versuchen, beides zusammenzubringen. Das gilt aber nicht nur für die Figuren, sondern auch für Orte und Handlung.
Abgesehen davon muss man versuchen, den Überblick über die Figuren zu behalten, ihnen eine schlüssige Biografie zu verpassen, die aber im Hintergrund bleibt. Irgendwann kommt dann die Phase, in der man ihnen beim Agieren zuschauen kann, aber das ist bei mir sehr spät der Fall.

Renate: Allein die Namen der Figuren sind bedeutsam. Konrad, Zenzi, Flavia z.B., die Namen werden sogar thematisiert: Ich finde es schwer, stimmige Namen für meine Figuren zu finden. Wie geht es dir damit?

Susanne: Ich bin nicht sicher, ob sie wirklich bedeutsam sind, aber ich suche schon eine Weile herum, wenn eine Figur Kontur annimmt – vor allem, damit ich keine Namen verwende, die schon in einer Kurzgeschichte zu jemand gehören. Nach dem Familiennamen Schattenhofer habe ich lange gesucht, er musste selten und fränkisch sein...

Renate: Dein Stil hat Schärfe, Bosheit, den Witz des Bitter-Lebendigen, der sich besonders in den Nebenherbeobachtungen ausbreitet. Wo wohnt dein Stil? In dir? In den Figuren? In den Randerscheinungen, die den Plot würzen?

Susanne: Es hat vermutlich viel mit Beobachten, Zuhören, Lesen zu tun. Und ich bin allergisch gegen jedes „Zuviel“ - im Leben wie im Schreiben. Im Entwurf gibt es fast noch keinen Stil – nur ziemlich plumpe Sätze. Stil entsteht auch durch Arbeit.

Renate: Zum guten Schluss die Lieblingsfrage des Lesepublikums: Wie bist du auf die Idee zu den Texten gekommen? Was hat dich angeflogen, gibt es Vorgeschichten dazu? Und in einem letzten Satz: Wie würdest du mir deine Novellen schmackhaft machen? Wie wär der verführerische Pitch?

Susanne:
a) Ich weiß es nicht.
b) Die Frage gehört den Zuhörern.

 

 

Susanne Neuffer liest aus SANDSTEIN

Nach zahlreichen Kurzgeschichten sind unlängst zwei Novellen von Susanne Neuffer erschienen. Auch in der längeren Form bleibt die Autorin ihrer lakonischen Erzählweise und ihrem filmischen Blick auf Orte, Dinge und Figuren treu.
Es sprechen, singen und klingen Susanne Neuffer und Daniel Hagemann.

Bücherstube Fuhlsbüttel
Hummelsbütteler Landstraße 8   22335 Hamburg
040 59 97 54  info@fuhlsbuecher.de
Beginn: 19:30 Uhr, Eintritt: 10,-

Und endlich wieder eine Lesung zu viert:

 

 

Gudrun Hammer, Marita Lamparter,
Renate Langgemach und Susanne Neuffer

lesen zum Thema NACHLÄSSE
Geschichten vom Erben und Sterben

Kultur-Kapelle 6 auf dem Ohlsdorfer Friedhof
www.kapelle6.de
Beginn: 15:00 Uhr


Zum Schluss eine Vorankündigung:

Im Herbst wird es DRAUSSEN-LESUNGEN in Hamburg geben,
wir sind dabei und melden uns, wenn wir Genaues wissen!