Wir sind drei Autorinnen:

© Carmen Oberst
Marita Lamparter schaut sich die Menschen genau an. Sie erzählt davon in Dorfgeschichten aus Westfalen und Stadtgeschichten aus Ottensen.

Renate Langgemach kann in ihren Romanen einen Hang zu in Schieflage geratenen Verhältnissen nicht verbergen.

Susanne Neuffer erzählt von Leuten, die sich und andere gern täuschen und meist unruhig unterwegs sind.

Kurz bitte.
Ein Editorial.

Als wir nachfragten, wie denn unsere letzte Blogausgabe gefallen hat, hörten wir des öfteren, man sei mit dem Lesen noch nicht durch. Das Gespräch habe viel Raum eingenommen.
Wir gingen in uns und in unsere Autorinnenstübchen, wo sich die bekritzelten Papiere in alter Manier stapeln, die Teetassen in gefährlicher Nähe zum Computer auf Bücherhaufen balancieren, und sagten wie beim Friseur: hinten und an der Seite kürzer, Vorsicht beim Pony, aber sonst kann einiges weg.
Diesmal also: Kürzestgeschichten, ein bisschen Lyrik, jede war mit 3000 Zeichen dabei. Kein Gespräch unter uns dreien, aber ein Interview mit Ralf Zühlke über kurze Texte. Dazu ein paar Schwarzweißbilder, von denen wir meinen, dass sie die Welt in diesem Frühling am zutreffendsten abbilden.

Im Gästezimmer:
Ralf Zühlke über seine Zeitschrift Stadtgelichter.

Termine:
Wir lesen am 20. November 2022 um 15 Uhr in Kapelle 6 auf dem Ohlsdorfer Friedhof zum Thema Nachlässe,
Susanne Neuffer liest am 22.6.2022 im Literaturzentrum Hamburg aus ihrem gerade erschienen Novellenband Sandstein.
Susanne Neuffer liest am 15. 7. 2022 um 19 Uhr für das Ledigenheim im Kleinen Michel.
Weitere Termine schweben noch im Ungewissen, bitte auf unseren Homepages nachschauen.

 

 

Renate Langgemach:
In der Kürze liegt die Würze: Wörter-Flashes, die ein ganzes Universum einfangen, gesammelt auf den Straßen von Paris, ein Gedicht und ein fiebrig-assoziativer Text, der einfach nicht länger sein darf … kürzen gibt Schliff. Und ist meist Knochenarbeit.


eine taube
im stechschritt

einen satz fangen
wie einen fisch

das leben ist so absurd,
sagt der junge mann,
der alte mann
untersucht sein knie

mittwochs
melancholie
bis zweiundzwanzig uhr

 

renate langgemach
paris noir&blanc


in unserem krieg
sagt die alte
hat man
nicht jeden gefallenen
zu seinem grab eskortiert
feldpost kam
einmal im monat
fliehende
sind ins eis gebrochen –
städte aber
hat man
genauso zerschossen
obwohl sich
niemand gewehrt hat

sie trägt ihren schemel
ins windgeschützte eck
und schaut den rotschwänzchen nach
die in das astloch
unter den kirschblüten
fliegen

 

renate langgemach

© Otto Rasch

Marita Lamparter: „Kurze Texte sind für mich Momentaufnahmen wie ein Foto.“

Eine bescheidene Landschaft

An der Flusswindung stehen mächtige Weiden. Ihre Äste reichen tief ins Wasser. Die breite Flussaue ist grün, üppig bewachsen, aber hier geht’s nicht weiter, die Nutzflächen reichen bis zum Ufer. „Landwirtschaft“, denkt sie, „und wirklich ein bescheidener Fluss.“
Sie schaut zum Ufer, hier fließt die Lippe, glitzert blau vom Zulauf der Pader, fließt weiter, fast unbemerkt auf verschlungenen Wegen durch diese unspektakuläre Landschaft und verschwindet im Rhein.
Stille, blauer Himmel und die weißen Wolken hängen tief. Ein Traktor ist zu hören.
„Da hinten ist ein Hof“, sagt ihre Tochter, „ich muss hier nicht meditieren.“
Die Mutter will sich nicht drängen lassen: „Wir haben genug Zeit.“
Sie sind am Fluss gelandet, weil sie die falsche Abfahrt genommen haben und dann auf Landstraßen weiter gefahren sind. Sie möchte ihre Tochter auf die Schönheit der Landschaft hinweisen, aber sie unterdrückt diesen Impuls. „Lassen Sie ihr Zeit!“ hatte der Arzt gesagt.
Auf einer Anhöhe liegt ein Gehöft wie angeschmiegt in der welligen Landschaft. Hohe Pappeln rahmen den Bauernhof ein. Mutter und Tochter gehen zurück zur Straße und zum Auto. Sie entdecken ein Hinweisschild: “Zum Gänsehof.“
„Ich esse auf keinen Fall Gänsefleisch!“, mault die junge Tochter.
„Wir sollten erst mal sehen, ob die Gaststätte überhaupt offen ist.“ Sie versucht einen möglichst neutralen Ton anzuschlagen. Bloß jetzt nicht diese leidige Essensdiskussion.
Die Wirtin begrüßt sie freundlich. Die Gaststätte ist über und über mit Gänsen geschmückt. „Früher hatten wir hier viele Gänse“, erzählt die Wirtin und zeigt auf die Zeichnungen an der Wand. Gänsebilder. Gänseporträts. „Die Gänse, die mögen die Auelandschaft der Lippe. Bis ins Rheinland rüber haben wir früher unsere Lippegänse auf den Märkten verkauft.“
Sie zeigt den beiden stolz ihre Gänsesammlung in der Vitrine: Gänse aus Glas, Plastik, Holz, Porzellan. Es müssen Hunderte sein.
„Klarer Fall von Überdekoration“, flüstert die Tochter ihrer Mutter zu.
„Was kann ich Ihnen bringen? Heute ist Pizzatag. Jede Pizza kostet 6,80 €. Wir haben Dortmunder im Ausschank. Sagt Ihnen das was?“
Sie essen Pizza, das Mädchen lässt den Rand liegen.
„Unsere Pizza ist in der ganzen Umgebung berühmt. Unser Koch heißt Hassan, ach, da ist er ja“, erzählt die stolze Wirtin und zeigt in die Küche.
Ein nachdenklicher Mann steht vor dem Küchenfenster als würde er in eine ganz andere Landschaft schauen.

© Otto Rasch

Regen in Italien

Blick von der Dachterrasse ins Tal. Regen trommelt auf das kleine Wellblechdach des Wintergartens. Der graue Himmel ist eins mit dem Nebel im Tal. Der Bergkamm ist kaum noch zu sehen, nur dunkle Schatten wie große ruhende Tiere. Gegenüber ist eine Baustelle, die Plane auf dem Dach flattert trotz der aufgelegten Steine.
Die alten Häuser mit ihren scheckigen Dachziegel sehen im Regen trostlos aus. Das Tropfen und Trommeln des Regens zerrt an den Nerven. Dabei regnet es erst seit heute Mittag. Am besten legt man sich ins Bett. Niemand ist mehr auf der Straße.
Jetzt ist der Himmel wieder blau, zwar mit vielen Wolken und ein kräftiger Wind geht durch die Bäume und Büsche. Der starke Regen gestern hat die Feigen vom Baum geschüttelt. Jetzt liegen sie als Brei auf der Straße. In Bagnoregio gibt es viele Kirchen, S. Donato, S. Agostino und die Kathedrale. Priester und Nonnen laufen hastig durch die Stadt.
In der Pizzeria schreien Frauen, es geht um eine Bestellung, die nicht rechtzeitig fertig geworden ist. Die Bäckerin ruft „Mamma Mia“ aufgeregt wie Sophia Loren in einem Film mit Marcello Mastroianni. Der Mann hinter der Bar geht vor die Tür und raucht.

Renate Langgemach
Madonna di Reggio

Es ist eine Verwirrung, Handwerkszeug hat er gestohlen, eine Säge, eine Schraubzwinge, ich bekomme keine Ordnung in meinen Kopf, wie konnte er in die Halle dringen, ein Fenster ist zerstört, die Tesastreifen, mit denen die Fenster zugeklebt waren, sind abgerissen. Ich hatte doch Decken über alle Werkzeuge gelegt, war nur die halbe Nacht zu Hause gewesen, das Hämmern hört nicht auf, meine Schläfen wollen nicht ruhen, das wertvollste Stück liegt noch da, wieso hat er es nicht genommen, Elend zieht durch meinen Bauch, es muss ein Geräusch, es muss ein Geräusch sein. In mir die Madonna di Reggio, ich betrachte die Kirche, mich umgibt Spannung, ich bemerke, dass zwei hinter dem Altar sitzen und mich in ihren Sog nehmen. Die Spannung hier ist anders. Hier ist einer, zwischen den Werkzeugen, die fehlende Schraubzwinge legt sich um meine Schläfen, ein Ring drängt sich wie die Kopfstütze eines alternden Herrenfriseurstuhls, wie die Schale eines Operateurs, der Gewebsfetzen hineinlegen wird, die er aus meinem Mund nimmt, wenn er denn zuschneidet, um meinen Kopf kurz über dem Nacken.
Ob er kleiner ist als ich, der Andere, ob ich ihn überwinden werde, wenn er aus dem Schatten tritt, kann er denn aus dem Schatten treten, kann er überhaupt aus den Bildern treten, kann er nicht, er kann nicht aus seinen Bildern treten, er bleibt in seinen Bildern stecken, verschweißt in Folie mit Lufteinschlüssen. Ich festige die Plastikschicht mit Bändern aus dem Klebeapparat, und rum und ab und kleb, er kann nicht aus seinen Bildern treten, verschweißt in Plastik die Worte, damit kein Fleck die Seiten verunziere, bevor die endgültige Hand sie aufschlägt, prasselnder Kopf, Hygieneschutz, damit er nicht platzt unter dem Druck in der Friseurstütze, der Operationsschale.
Er kann nicht aus seinen Bildern treten, er kann sich nur mit seinen Abbildern schmücken, kann nicht hinaus, ich muss ihn nicht fürchten, fürchte ihn doch, denn wer nicht hinaus kann, der wird gefährlich, ich poliere meine Hände, meine Arme, er wird hinaus platzen, und ich muss ihm zuvorkommen, mich auf ihn setzen, blindlings auf seinen Brustkorb pressen, seine Arme hochreißen über ihm am Boden, sie festnageln, denn der Hammer ist noch da, den Nagel in die übereinander gelegten Hände, dann an seinem Leib hinab mit dem Hammer, ihn zwischen die sechs-Zoll-Nägel klammern, tailleneng, dann die Füße festnageln, tut mir weh, kann ich nicht, und so muss ich rennen, bevor er sich aus den Nagelhänden und Taillennägeln befreit hat, ich renn durch den Regen, Madonna di Reggio.

Susanne Neuffer: „Ich mag den 'Rausch' des Kürzens beim Bearbeiten meiner Geschichten - sie werden dann deutlicher, auch für mich.“

Revision

Du hast einen Text geschrieben. Das geschieht täglich, dazu sind wir da. Da der Text in unsere Zeitschrift soll (grobes Papier, sparsames entschiedenes Design, winzige Auflage), bin ich mitverantwortlich, denke ich. Oder nicht?
Ich sollte den Text wenigstens verstehen, es geht nicht um mein ästhetisches Urteil. Wir pfuschen uns nicht gegenseitig in die Suppe.
Ich verstehe den Text nicht. Seine grellen Bilder springen mir kühn in den Kopf, aber ich kriege sie nicht zusammen zu einem Satz, der mir die Frage aller Fragen beantwortet: Was will uns DER TEXT, was will uns DIE AUTORIN sagen?
Soll ich fragen? Welche Blamage. Da ist ein Text, der etwas wagt (sagen sie in Klagenfurt), und ich stelle die Sinnfrage. Ich würde gerne um eine Inhaltsangabe bitten, wenn das nicht so peinlich wäre.
Ich krame in meinem Archiv, das nach Auflösung oder einem Staubsauger schreit, und finde das blaue Buch über Methodendiskussion, das ich im ersten Semester ratlos bearbeitet habe. Das heißt, ich habe dort viele Sätze unterstrichen. Sofort stellt sich das müde Nachmittagsgefühl ein: Seminarraum, Sonnenstäubchen, kluge Doktoranden, die das letzte Wort haben.
Im Angebot war auch das Kapitel Formalismus/Strukturalismus: Elemente, Bezüge, Oppositionen. Ich verstand das Kapitel nicht. Es wurde nur kurz abgehandelt, dann segelten wir unter großem Rauschen in den sicheren Hafen der marxistischen Literaturwissenschaft ein, die Lotsenboote der Doktoranden und höheren Semester fuhren vorneweg oder blieben längsseits, wir brachen nicht aus. Eine Weile war alles recht einfach.
Draußen, auf einer Insel im Meer des wilden Denkens hatte Lévi-Strauss gestanden, langsam ein Gericht bereitend, aus Rohem und Gekochtem. Er ist der einzige, an den ich mich erinnern kann. Da ich seine Einladung zum Strand- Büfett fahrlässig ausschlug verstehe ich nun deinen Text nicht.
Denk nicht, dass ich aufgebe. Ich muss nur erst meinen Werkzeugkasten öffnen, entstauben, das übersehene Besteck herausholen und putzen. Aber dann.

 

Kurz 1

Friseur spielen: eine Bastelschere reichte dem Kind, um die Damen aus dem Quellekatalog zu bearbeiten. Arme und Beine wurden ihnen nicht abgeschnitten (obwohl es in der Realität genügend Beispiele für Einbeinige und Einarmige gab, das waren jedoch Männer). Aber die Haare konnte man ihnen kürzen, warum sollten die lange Haare haben, wenn das Kind immer mit diesem praktischen Jungshaarschnitt herumlaufen musste. Und es hätte doch so gerne lange schwarze Locken gehabt und Manuela geheißen.
Einmal schnitt es sich selbst entschlossen den Pony ab, erzählt die Familienlegende, so kurz, dass der Friseur nichts mehr ausrichten konnte. Auch der wunderschönen Puppe mit den Echthaaren und dem starren Blick wurden die Zotteln gestutzt.
Was dahinter steckt? Nichts für Tiefenpsychologen. Nur ein tiefsitzender Berufswunsch, der sich nicht erfüllte.

 

Kurz 2

Einmal ein Kleid von Marimekko gehabt, oder jedenfalls eine Imitation. Große schwarze Kreise auf Weiß, und das Kleid so kurz, dass man sich bei der Ferienarbeit in der Bank nicht richtig über die Kästen mit den Überweisungsformularen beugen konnte, ohne zuviel von den kräftigen Schenkeln zu zeigen. Äußerlich auf der Höhe der Zeit, aber ständig am Zupfen. Was so alles geschieht auf der Carnaby Street.

 

Kurz 3

Die Lektorin hat meine Füllwörter markiert: auch, aber, noch, eigentlich, schon. Wir beugen uns entschlossen über den Text. Am Ende haben wir 20 Seiten Papier gespart. Wir reichen den Text für den Großen WaldBadePreis ein und warten auf unsere Belohnung.

 

Im Gästezimmer:
Ralf Zühlke

Als wir uns (aus gutem Grund) bei der Planung dieses Blog für das Thema „KURZ“ entschieden hatten, war die Frage, wen wir in unser „Gästezimmer“ einladen, schnell geklärt: Ralf Zühlke mit seiner Zeitschrift Stadtgelichter. („Der veröffentlicht doch immer Lyrik und Kurzprosa …“).

Wir fragten:

1. Wenn man genauer hinschaut, sind auch in der vorläufig neuesten Ausgabe (Nr. 13) gar nicht alle Texte wirklich kurz. Jack Micheline, Heathcote Williams, Patrick Wilden zum Beispiel nehmen durchaus Raum ein für ihre Texte. Ist Kürze also kein absolutes Kriterium für die Aufnahme von Texten in Ihrer Zeitschrift?

RZ: Das Stadtgelichter soll Autor:innen die Möglichkeit bieten, sich mit ihren Arbeiten vorzustellen. Dabei finde ich es sinnvoll, dass diese Präsentation auch ausführlicher sein kann (sofern es von der Autor:in gewünscht und ausreichend Material vorhanden ist), weshalb die Beiträger:innen bis zu ca. 10 Seiten beanspruchen können. Ob es sich dann um ein einzelnes Gedicht oder eine einzelne Geschichte handelt – oder einen Auszug daraus, oder aber um eine Sammlung von mehreren Texten, liegt in der Entscheidung der Autor:innen. Die Kürze eines Werkes ist also kein Kriterium, um ins Stadtgelichter aufgenommen zu werden.

- Ist „Kurzprosa“ überhaupt eine sinnvolle Kategorie?

RZ: Unter »Kurzprosa« kann man sich etwas vorstellen, insofern ist die Beschreibung eines Textes mit diesem Wort sicher hilfreich, wenn als erstes die Fragen nach dem etwaigen Umfang des Stückes und die nach dem Genre beantwortet werden sollen.

2. Wenn Sie neben den großen Amerikanern und Skandinaviern neue Autorinnen und Autoren präsentieren, worauf achten Sie? Suchen Sie aktiv oder laufen Ihnen die Autoren zu?

Es begann ja mit der Beat-Literatur, die noch immer ein Schwerpunkt des Verlagsprogramms ist, und mit den Texten befreundeter Dichter:innen. Es gab und gibt immer auch Wunschbücher, die ich unbedingt verlegen will. Und dann freue ich mich, wenn die betreffenden Autor:innen Lust auf ein gemeinsames Projekt haben.
Dass mir die Autor:innen zulaufen, würde ich nicht sagen. Aber es ist schon so, dass es mehr als genug Schriftsteller:innen auf der Suche nach einem Verlag für ihr Werk sind. Und mag der Verlag auch noch so klein sein, in irgendeiner Liste (z. B. Lyrikverlage) taucht sein Name auf und wird von den Dichter:innen gefunden. Auch aus Manuskripteinsendungen sind in der Stadtlichter Presse schon Bücher geworden, meist dann, wenn der/die Absender:in des Manuskriptes sich vorher Gedanken darüber gemacht hat, wem er sein Werk anträgt. Leider passiert das Gegenteil viel zu oft, was seine Ursache sicher auch in der Vereinfachung der Zusendung umfangreicher Materialien via Rundmail hat.

3. Sie lektorieren die Texte ja – wie widerborstig sind die Verfasser, wenn es um Korrekturen oder Änderungen geht? Würden Texte durch Kürzen besser?

Im Rahmen des Lektorats bemühe mich, möglichst behutsam sinnvolle Änderungen und sonstige Eingriffe vorzuschlagen. Schließlich hat sich jemand sehr viel Arbeit gemacht, sein Herzblut geopfert, um das entsprechende Werk zu vollenden. Dass es trotzdem im Verlauf des Prozesses zu Missstimmungen kommen kann, lässt sich nicht ausschließen. Aber wenn die Beziehung zwischen den Beteiligten von Respekt, Empathie und Offenheit geprägt ist, lassen sich solche heiklen Momente klären.

4. Wie würden Sie Stadtgelichter charakterisieren? Es fällt auf, dass Sie Ihre Hefte nicht thematisch anlegen.

Im Editorial der Nr. 1 habe ich zu erklären versucht, wofür ich das Stadtgelichter ins Leben gerufen habe:

[…] Stadtgelichter – eine Zeitschrift, die sich nicht auf ein Thema oder Genre beschränken will, sondern die eine Plattform sein will für Autor:innen, für die Präsentation ihrer Arbeiten, die vom Umfang zu kurz wären, um daraus ein neues Buch zu machen. Und die gleichzeitig eine Einladung an die Leser:innen sein soll, unveröffentlichte Texte zu entdecken. […]

Darüber hinaus ist das Stadtgelichter auch eine Art Schaufenster, in das z. B. Kolleg:innen schauen. Tatsächlich sind aus Veröffentlichungen im Stadtgelichter bereits drei Bücher in anderen Verlagen entstanden.

- In welchem Verhältnis steht die Zeitschrift zu Ihrem Verlag?

Es war eigentlich schon fast seit Gründung des Verlags mein Wunsch, auch ein Periodikum herauszubringen. Manchmal brauchen die Dinge etwas länger, reifen im Kopf oder ruhen gar längere Zeit. Aber anlässlich des zwanzigjährigen Verlagsjubiläums habe ich mir meinen Wunsch dann erfüllt. Inzwischen ist das Stadtgelichter mit seinem regelmäßigen halbjährlichen Erscheinen eine feste Größe innerhalb des Verlags.

- Wo und wie arbeiten Sie?

Mein Schreibtisch steht in unserem Schlafzimmer unter dem Dach. Die moderne Technik macht es aber auch möglich, mittels Laptop unterwegs, z. B. im Zug, vieles zu erledigen. Der Austausch mit den Autor:innen erfolgt in der Regel per E-Mail oder auch telefonisch, seltener per Brief. Und besonders schön, aber leider viel zu selten, trifft/besucht man sich, um gemeinsam an dem Buchvorhaben zu feilen.

Die bibliophilen Publikationen, wie z. B. Olaf Veltes »Gänge des Flurschütz«, aber auch die Jahresgaben werden als lose Bogen von der Druckerei hierher geschickt und dann von mir gefalzt, gebunden und beschnitten. Die Holzschnitte für die Umschläge (z. B. oben genannten Buches) werden von Heike Küster geschaffen – die für sehr viele Illustrationen und Cover-Motive in und von Stadtlichter-Büchern verantwortlich zeichnet –, und von ihr auf ihrer Andruckpresse gedruckt.

5. Schreiben Sie selbst auch? Haben Sie geschrieben? Im Netz sind Sie sehr sparsam mit Informationen, was Ihre Person betrifft. Und: Trifft es zu, dass Sie Eisenbahner waren? Da Eisenbahner zu meinen Lieblingshelden in der Realität gehören, frage ich damit natürlich nach der Verbindung Eisenbahn – Langstrecke? – und Literatur – Kurzstrecke?.

Das stimmt, ich bin nicht so scharf darauf, im Rampenlicht zu stehen. Vor über 20 Jahren erschien in der Edition Schwarzdruck ein bibliophiler Band mit Haiku, die zusammen mit Frank Martens entstanden waren. Jetzt schreibe ich nur noch sehr selten, und auch nicht für die Öffentlichkeit.

Ja, ich habe eine Berufsausbildung bei der Deutschen Reichsbahn gemacht, auf Stellwerken des Magdeburger Hauptbahnhofs gearbeitet und nach einem Studium bis 1995 auf verschiedenen Stellen bei Reichs- und Deutscher Bahn gearbeitet. Wenn es zwischen meiner damaligen beruflichen Tätigkeit und meiner heutigen eine Parallele gibt, dann vielleicht die des Teilhabens am Zusammenkommen von Menschen, Ideen, Gedanken. Einerseits per Zug von einem Ort zum anderen, andererseits per Buch von Autor:in zu Leser:in.

6. Ein Autor nannte Sie einen Verleger von „wunderbarer Sturheit“. Sehen Sie sich so? Wie stur muss man sein, um im Literaturgeschäft zu überleben?

Wenn »stur sein« bedeutet, trotz all der Schwierigkeiten, denen man als Betreiber eines Kleinstverlages gegenübersteht, hartnäckig und entschlossen seine Pläne zu verfolgen (Wobei ich nicht leugnen möchte, dass es durchaus Phasen des Zweifelns am eigenen Tun gibt.), dann trifft das wohl auf mich zu. Gerade bei einem so kleinen Verlag bedarf es einer gewissen Beharrlichkeit und Überzeugung der Betreiber:innen, ohne die die Verlagstätigkeit auf lange Zeit nicht möglich ist.

 

Ausgabe der Stadtgelichter

Stadtgelichter erscheint im Verlag Stadtlicher Presse
www.stadtlichterpresse.de