Wir sind drei Autorinnen:

© Carmen Oberst
Marita Lamparter
schaut sich die Menschen genau an. Sie erzählt davon in Dorfgeschichten aus Westfalen und Stadtgeschichten aus Ottensen.

Renate Langgemach kann in ihren Romanen einen Hang zu in Schieflage geratenen Verhältnissen nicht verbergen.

Susanne Neuffer erzählt von Leuten, die sich und andere gern täuschen und meist unruhig unterwegs sind.

Vor einem Jahr haben wir mit unserem literarischen Blog textX3.de begonnen, als "draußen" nichts mehr lief, keine Lesungen, kaum noch Begegnungen. Wir haben losgelegt, ahnungslos, experimentierend. Es ist spannend und kräftezehrend, macht aber vor allem Freude, sich auf ein neues Terrain zu wagen. Unseren Texten und unserer Laune tut es gut.
Wie es scheint, hat sich das Werkstattgespräch zum Herzstück unserer Arbeit entwickelt. Offenbar gefällt es, wie drei oder manchmal vier Autorinnen mit kontroversen Ansätzen miteinander kommunizieren … dass gelegentlich die Fetzen fliegen, lässt sich allerdings nur schwer abbilden!

Hier nun die fünfte BLOG-Ausgabe mit einem Werkstattgespräch zum Thema DIALOG. Was läuft da ab, wenn unsere Figuren miteinander reden? Wie schwer oder wie leicht fällt uns dieser Teil unserer Arbeit? Was macht einen gelungenen DIALOG aus? Davon und von unseren Vorbildern reden wir.

Ins Gästehaus haben wir diesmal die Theaterfrau Gabi Blonski eingeladen.

Endlich gibt es wieder Termine! Susanne Neuffer macht den Anfang: Am 6. März 2022 liest sie um 17.00 Uhr im Literaturzentrum aus ihrem neuen Gedichtband Die Kühlschränke des Nordens in einer gemeinsamen Veranstaltung mit Reimer Eilers. Bitte anmelden unter lit@lit-hamburg.de.

Ihr neues Buch Sandstein (Zwei Novellen) erscheint im März im MaroVerlag.

Marita Lamparter und Gudrun Hammer wollten sich im Januar in das Brechthaus in Svendborg zur Schreibklausur zurückziehen. Das fiel aus den bekannten Gründen aus. Ersatz haben sie in Angeln gefunden.
Renate Langgemach hat ihren Schreibtisch zur gleichen Zeit auf den Darß verlegt.

Und sonst: Wir schreiben weiter, freuen uns über Rückmeldungen und auf einen bewegten literarischen Frühsommer!


Werkstattgespräch DIALOG
Von nicht so gerne bis so viel wie möglich …

Hier zeigen sich unsere Unterschiede: Susanne und Renate behaupten gleich zu Anfang, sie könnten keine Dialoge schreiben … aber stimmt das auch? Marita dagegen sieht im Dialog ihre Kernkompetenz. Mit unserem Gast, Gabi Blonski, Autorin vieler Theaterstücke, geht es unter ihrem Blickwinkel um das Thema.

Susanne:
Ich kann keine Dialoge schreiben. Es ist anstrengend, schon wegen der Anführungs- und Schlusszeichen.

Renate:
Ich bin dialogscheu. Würde schon immer und am liebsten einen einzigen Dauermonolog schreiben wie den von Molly Bloom, seitenlang sinnieren und von Gedanken zu Gedanken springen.

Marita:
So wie ihr vom Poetischen kommt, komme ich vom Dialog. Bei mir ist da zuerst das Gesprochene, Ausgesprochene. Ein Grund mag sein, dass in unserer Familie - vielleicht gibt es im ländlichen Raum überhaupt eine starke entsprechende Tradition - der Geschichtenerzähler und auch die Geschichtenerzählerin hoch angesehen und beliebt sind. Dabei kommt es nicht auf den Wahrheitsgehalt an, das Ausschmücken wird honoriert.

Renate:
Es ist also ein Alltagsgespräch, das dich inspiriert?

Marita:
Eine Situation, ein komischer Wortwechsel, wie z.B. in meiner Geschichte Auf dem Biomarkt.

Renate:
Und ist dieser Dialog eins zu eins zu gesprochener Sprache?

Marita:
Er ist stilisiert, aufgebauscht und zugespitzt, vielleicht sogar verzerrt dargestellt. Du kannst nicht echte Alltagsgespräche mit Wiederholungen und Unterbrechungen übernehmen. Die Figuren sprechen fehlerfrei und kommen immer genau auf den Punkt. Kunststück, oder?

Susanne:
Ich schreibe Dialoge unauffällig mit. Manchmal bleibt mir nichts anderes übrig, wenn ich in der Bahn sitze und die Leute sich unterhalten oder ihre Halbmonologe am Telefon veranstalten. Dann fange ich entweder Streit an oder ich schreibe sie auf, was dem Zusammenhalt der Gesellschaft doch eher dient. Das sind dann Dialoge, die ich verwenden kann.

Renate:
Ich gehe nie von gehörten Dialogen aus. Ich konstruiere sie! Vielleicht liegt darin meine Schwierigkeit. Sie müssen glaubhaft sein, alltagstauglich, sind aber nicht abgelauscht! Und die Idee, dass Charaktere, die ich beschreibe, auch im Dialog erkennbar werden, macht das Vorhaben nicht einfacher. Ich denke oft, das bin doch jedes Mal ich, die da spricht, also die Erzählerin.

Marita:
Auch für mich liegt da eine Schwierigkeit - die Unterscheidbarkeit hinkriegen.
Die reden bei mir alle gleich.

Susanne:
Die "Redeeinführung" hilft dabei - ist aber ganz schön lästig!

Marita:
Ja. Lässt man sie einfach weg, muss man aufpassen, dass die Figuren nicht verwechselt werden, dass man beim Lesen flüssig folgen kann. Ich hab schon oft geguckt, wie das die anderen machen - z. B. im Krimi - Krimi ohne Dialog geht gar nicht!!

Renate:
Ja, da muss nicht nur gefragt werden, sondern auch gedroht, gebohrt: Wo waren Sie letzten Donnerstag?

Marita:
Das bewundere ich … wie bei Agatha Christie zum Beispiel Spannung entsteht, wenn Mrs. McGillicuddy durch ihr Fenster den Mord an einer Frau in einem überholenden Zug beobachtet und es ihrer Freundin Miss Marple berichtet. Oder bei Thomas Mann natürlich, der Dialog zwischen Joseph und dem Gefängniswärter in meinem Lieblingsbuch Joseph und seine Brüder.

Susanne:
Also gerade bei Thomas Mann, da gibt sich manches als Dialog oder Gespräch aus, was so gar nicht stattfinden kann, niemand redet wie in seinen Romanen. Oder bei Fontane, der ist Meister der Gesprächskultur, aber man kann sich kaum vorstellen, dass sich die Leute tatsächlich so gepflegt und vor allem so ausführlich unterhalten haben wie bei ihm.

Marita:
Haben sie auch nicht.

Susanne:
Da spielt glaube ich, ein Element aus der Novellentradition des 19. Jahrhunderts eine Rolle, dass der, der redet, etwas vermitteln will, eine exemplarische Geschichte auftischt … und dann dürfen die anderen kurz etwas einwerfen oder erstaunt sagen: "Ach nein, nicht doch!"

Marita:
Für mich ist es tatsächlich so, dass ich mit dem Dialog meine Neigung zum Komischen ausleben kann, z. B. das aneinander Vorbeireden. Die wörtliche Rede bietet sich für das Komische einfach an und treibt nebenbei die Handlung voran.

 

Susanne:
Auch bei mir soll der Dialog die Handlung vorwärts treiben, ein Verhalten auslösen.

 

Renate:
Gerade arbeitest du an deiner Novelle Sandstein. Wie gehst du da mit Dialog um?

Susanne:
Es gibt nicht viel Dialog, aber in konzentrierter Form: Ich stoppe oder unterlege den Dialog durch Beschreibungen und Kommentare, bringe etwas in Bewegung. Mein Dialog muss knapp sein. Und die performativen Wörter (erwiderte er, kicherte sie, usw.) brauche ich nicht. Das schlichte "sagte er - sagte sie" genügt mir. Rechts ein Beispiel:

Der Dialog verschweigt auch etwas.

Marita:
Etwas? Dein Beispiel verschweigt sehr viel. Er sitzt im Riesenrad, als Kari ihn anruft, Zenzi neben ihm, und behauptet, dass er viel Arbeit hat.

Renate:
Wovon der Leser weiß. Das macht die Sache spannend.
Habt ihr denn einen Dialog vor Augen, wo man durch die Art, wie jemand spricht, viel über ihn erfährt?

Marita:
Charakterentwicklung sozusagen? Charakterzeichnung über das Gesprochene:
Die Erzieherin Therese Weichbrodt in den Buddenbrooks mit ihrem ehrlich gemeinten stereotypen Wunsch "Sei glöcklich, du gutes Kend" - wird über ihre altertümliche Sprechweise und ihren Dialekt charakterisiert. Der Satz gilt ironischerweise meist denen, die im weiteren Verlauf ihres Lebens gerade nicht glücklich werden.

Susanne:
Na ja, Fontane z .B. charakterisiert seine Personen durch ihre Redeweise. Der alte bräsige Briest mit seinen vielen Floskeln … "das ist ein weites Feld". Oder schlicht, wie die Mutter als Berliner Kleinbürgerin in Mathilde Möhring und ihre sehr pragmatische Tochter:

Marita:
Ich glaube, die englisch-amerikanischen Autoren von Updike bis Elizabeth Strout sind die größten, was diese Kunst angeht – die können es einfach. Ich sage das voller Bewunderung.
Die Schroffheit der Olive Kitteridge in Die langen Abende von Elizabeth Strout zeigt sich in den Dialogen:

Susanne:
Mir ist es schon so gegangen, dass ich ein Buch aufgeschlagen habe, dachte, ich würde es lesen wollen, und dann wurde nur geschwätzt. Man kriegt zwar hautnah mit, auf welche Art die Leute kommunizieren und wie sie ihre Schwierigkeiten austragen, aber nur im Dialog - das mochte ich nicht.

Marita:
Ja, dieses ewige Aufpassen, wer hat das jetzt gesagt? Der Dauer-Dialog erzwingt hohe Aufmerksamkeit, beim Lesen und beim Schreiben.

Susanne:
Wenn nicht erzählt wird, wenn man nicht sieht, dass die Wohnung schäbig ist oder toll … oder der Hund sich auf dem Teppich wälzt, dann kriegt das so etwas Atemloses, mich erschöpft es, so vielen Menschen zu zuhören.
Aber wenn es Raymond Carver macht - er hat manchmal extrem viel Dialog - da kann ich mitgehen. Sein Dialog ist so mager, also das, was die sagen, hat so etwas Ruhiges, Lakonisches, Abgekürztes. Das gefällt mir. Ich lese euch mal eine Stelle von ihm vor:

Marita lacht:
Hört sich nach Krimi an. Verrate uns jetzt nicht, wer wen ermordet!

Susanne:
Kein Krimi. Es wird schlimmer. Banaler.

Marita:
Die heiraten.

Renate Langgemach

Probier doch mal, Vorschlag von Susanne bei der Arbeit am Thema DIALOG, ob dir eine von deinen monologischen Szenen auch als Dialog gelingt. Hier das Ergebnis der Übung.

Auszug aus meinem aktuellen Romanprojekt: Simon und Helen beginnen eine Beziehung.
Sie kommt das erste Mal in seine Wohnung.

So?

Links ist eine Schiebetür. Ich ziehe sie auf, man tut das nicht, und es ist kein Raum mit hellblauen Tellern und Jasmin, Blütenportrait, Septembersonne und fahl-süßem Einschlag wie der, in dem ich stehe. Es ist eine Höhle. Ich kenne dieses Dunkel, das nicht ins Helle kommt, dieses sternlos, tiefgrau wie ein nie gewaschenes T-shirt, fürchte es, Holz bis unter die Decke, Vorhänge, Bücherstöße, staubig, eigensinnig, die Dahlien im Glas vertrocknet, der Schreibtisch voll mit Papier, Bleistiften, Tellern, Brotresten und Apfelschale. Ich habe einmal zu viel darin gelebt, zu lange versucht, es in Ordnung zu bringen, es beunruhigt mich, dieses ganz Hell und ganz Dunkel seiner zwei Zimmer, dieses Dr. Jeykill und Mr. Hyde … und ja, er hat keine gute Stube mit Schutzdecken auf den Sessellehnen, kein unberührtes Wartezimmer mehr. Er zeigt sich. Liebt seine Höhle, seinen Staub und seine geputzte Gegenwelt, Geschmacksnote samtweich. Jede Wohnung wäre die beste Einführung in ein fremdes Leben, sagt man. Ich muss sein Dunkel und sein Hell aushalten. Doch wenn mich einer fragen sollte: Ich trenne meinen öffentlichen Raum vom privaten. Und gebe trotzdem zu, jetzt, dass ich im Herzen Tänzerin bin mit karierter Unordnung, im Verstand Verwalter. Dem lasse ich immer wieder Vorrang.

Simon hat seine Altersordnung eröffnet. Ich blättere das letzte Drittel meines Lebensbuchs gerade erst auf. Seine Einladung dazu wäre vielleicht nicht verkehrt.

Oder so?

Ich habe zu viel mit solchem Dunkel gelebt, das niemals ins Helle kommt. Es aufzuräumen versucht. Haltlose Sammlerleidenschaft, die nicht meine war und jede Ecke des Hauses gefüllt hat. Sein Zimmer ist eine Beunruhigungszone.
Simon bringt Brot und zwei Flaschen.
Ich werde dich verwöhnen, sagt er. Wenn du etwas nicht magst, heb die Hand. Dann streiche ich es aus meinem Repertoire.
Du warst in meiner Höhle?, fragt er dann.
Ja. Ist ein bisschen zum Fürchten. Dieses ganz Hell und ganz Dunkel in deinen Räumen. Wie Dr. Jeykill und Mr. Hyde!
Das musst du mir erklären!
Hier, die Sessel, der Fluss, der Tisch, an dem wir sitzen, die Teller blau, Servietten, Besteck, ein Weidenzweig.
Hab ich gestern gedeckt, sagt er, für dich … für uns.
Ja, denk ich, für mich, Geschmacksnote samtweich, Blütenportrait, Septembersonne mit fahlem Einschlag. Und sage: Die Sichtprobe in deine Höhle war gewagt, keine zweite Stube mit Schälchen und Jasmin, eher sternlos, dunkel.
Findest du?
Ja. Holz bis unter die Decke, Vorhänge, Bücherstöße, real, staubig, eigensinnig, vertrocknete Dahlien im Glas, der Schreibtisch voll mit Papier, Bleistiften, Tellern, Brotresten, Apfelschalen - wie ein lange nicht gewaschenes T-shirt, hake ich innerlich ab
Eine Wohnung, Simon sucht nach Worten, ist die beste Einführung in ein fremdes Stück Leben. In mein Leben. Ich habe keine gute Stube mehr mit Schutzdecken auf den Sessellehnen. Kein unberührtes Wartezimmer.
Du zeigst du dich, denke ich. Auch gut. Und sage: Ich trenne meinen öffentlichen vom privaten Raum.
Kann man, Simon mustert mein glattes Jackett. Ich habe meine Altersordnung eröffnet, Lieblingshöhle, Lieblingsstücke, Lieblingsstaub. Ich liebe meine Gegensätze.
Man sieht's, antworte ich.
Und hätte nun sagen können, dass ich mit dem Herzen Tänzerin bin, mit dem Verstand Verwalter, dem ich immer noch den Vorrang gebe, dass ich mein Lebensbuch für das letzte Drittel gerade erst aufblättere und Simons Einladung dazu vielleicht nicht verkehrt ist.

Auf der Suche von Textbeispielen in meinen Romanen habe ich ('dialogscheu', wie ich meinte) übrigens festgestellt, dass (außer im ersten) mehr Dialoge zu finden sind, als angenommen - und dass meine Dialogaufmerksamkeit bei der Arbeit zunehmend wächst.

Marita Lamparter

stellt eine weitere Szene aus ihrem Clarissaprojekt vor. Diesmal geht es um ein wichtiges Gespräch: Clarissa hat ihren alten Freund Peter zu ihrem Gartenfest eingeladen. Nach langen Jahren, in denen Peter im Ausland gearbeitet hat, sehen sie sich wieder.

Clarissa hörte das Telefon läuten. Sie ging wieder ins Haus. Kaum im Flur, war das Telefon still. In der Küche arbeitete Tatjana, sie war gerade dabei die Kartoffeln für den Kartoffelsalat zu schneiden, auf süddeutsche Art zubereitet, zunächst fein geschnitten, mit heißer Brühe übergossen und nach dem Abkühlen dann die Vinaigrette aus Essig und Öl. "In Russland kommt Mayonnaise dazu", brummte sie jedes Mal. Alles war eingespielt. Auch Ralf würde später mit seiner neuen Frau vorbeikommen. Ein Gedanke, der sie nicht mehr beunruhigte. Ralf wohnte jetzt in einem größeren Haus am Stadtrand, ihm gefiel es dort viel besser als in diesem alten gemeinsamen Haus, das jetzt nicht mehr sein Zuhause war. Bestimmt würde er wieder die Bemerkung über die Terrasse machen. "So eine schöne Terrasse gibt es nicht noch einmal. Die gehört jetzt dir alleine, Clarissa."

Clarissa war sich sicher, dass er später auf der Heimfahrt zu seiner neuen Frau sagen würde. "Ja, Gott, eine Terrasse ist ja auch nicht alles. Ich habe mich in dem Haus nie so richtig wohl gefühlt."

Sie würden nicht lange bleiben, wegen der Tradition und der Kinder natürlich kommen. Manchmal rutschte ihm eine Geste als früherer Hausherr durch, er stutzte dann leicht und ganz plötzlich wurde er wieder zu einem Gast.

Jetzt klingelte das Telefon erneut, es war Peter.
Sie war überrascht und stammelte:
"Ach, du bist es." Sie hatte die falsche Tonlage erwischt, so als hätten sie erst letzte Woche telefoniert.
"Kann ich kurz vorbeikommen? Ich meine, vor deinem Fest? Passt es dir überhaupt?"

Sie sagte nur: "Ja, natürlich." Als sie den Hörer auflegte, dachte sie, wieder hast du mich überrumpelt und wieder hast du es geschafft, mich durcheinander zu bringen. Oder sollte sie wie eine Erwachsene denken, wieder habe ich mich von dir irritieren lassen. Ichbotschaften - das Credo des Trainers bei den Teamsupervisionen. Funktioniert ja, dachte sie.

Benommen ging sie nach oben. Das ehemalige große Kinderzimmer mit dem Balkon war jetzt ihr Arbeitszimmer. Ihr Sommerkleid hatte einen kleinen Riss, vielleicht konnte sie den Stoff sogar einfach kleben. Tatjana mochte solche fummeligen Tätigkeiten nicht. Sie hörte, wie Tatjana die Haustür öffnete.

Clarissa erkannte die Stimme sofort. Peter stand im Flur.

"Hallo Clarissa, ich war ganz in der Nähe, ich habe einen Spaziergang an der Elbe gemacht. Da dachte ich, ich schaue bei dir vorbei. War vielleicht eine Schnapsidee." Er stand etwas hilflos im Flur. Sie kam die Treppe herunter.
"Entschuldige, ich bin etwas verwirrt. Wir haben uns ja so lange nicht gesehen. Komm doch rein."
"Ich will dich nicht lange stören, aber ich dachte, ich nehme den Schock vorweg. Wegen heute Abend hatte ich auf einmal ein komisches Gefühl."
"Wenn es dich nicht stört, dass ich noch mein Kleid ausbessern muss?"
Peter lachte: "Du bist Clarissa geblieben. Das stört mich nicht."
Er entspannte sich nun. "Schön hast du es hier!"
"Wir gehen in die Küche. Tatjana hat bestimmt einen Kaffee für uns." Clarissa dachte, wie hölzern ich daherrede.
"Komm, wir setzen uns ins Wohnzimmer", die Rolle der Gastgeberin lag ihr einfach: "Dann haben wir auch den Blick in den Garten."
Peter schaute sich die Fotogalerie ihrer Kinder an.
"Nein", murmelte er unvermittelt, "bisher nicht, geheiratet, keine Kinder. Aus Überzeugung."

Das war eine plötzliche Ansage gewesen. Clarissa war diese Antwort unheimlich. Warum sagte er das? Um nicht als alter Hagestolz zu gelten? Und dann das bisher nicht, glaubte er wirklich, da würde noch was kommen? Das passte alles so gar nicht zu Peter.
"Das steht dir doch nicht", rief sie laut. "Gerade du, dir hätte ich einen Familie mit drei oder vier Kindern zugetraut." Du würdest heute besser aussehen, das dachte sie aber nur. Sie war froh mit ihrer Familie, auch wenn es sie jetzt nicht mehr so gab. Ralf war wieder verheiratet und die Kinder studierten in fremden Städten, gingen ihre eigenen Wege. Nur einmal war sie bisher in Swansea gewesen, wo ihr Ältester studierte, nie hatte es gepasst. Das hatte sie sich damals, als er sich für England entschied, ganz anders vorgestellt. Sie sah sich geradezu pendeln, die Museen besuchen, literarische Ausflüge nach Cornwall machen und abends mit ihrem Sohn indisch essen gehen. In den letzten drei Jahren war es nur einmal dazu gekommen und es hatte sich an diesem Abend auch keine besondere Nähe zwischen ihnen ergeben. Zudem war es eine völlig verregnete Woche gewesen.

Vielleicht hatte sich ja Peter etwas erspart mit seiner Entscheidung, bestimmt waren deshalb einige seiner Beziehungen und seine Ehe daran gescheitert. Er war ja mit einer Chinesin verheiratet. Sie musste mit der Ein-Kind-Politik groß geworden sein. Aber es war nicht der richtige Zeitpunkt, Peter danach zu fragen.

"Hätten wir je Kinder gehabt? Als es mit dir und mir vorbei war, ging eine Art Zukunft für mich zu Ende. Das habe ich aber erst viel später verstanden. Warum haben wir uns eigentlich getrennt? Warum ging es auseinander?"
Er lehnte sich auf dem Sofa zurück und nahm das Kissen mit dem Folkloremuster auf den Schoß. Sie hatte es in Mexiko gekauft.

"Genau das habe ich mich heute schon den ganzen Tag gefragt. Warum eigentlich?"
Sie wusste es auch nicht mehr. Aber das konnte doch nicht sein. Warum wussten sie es beide nicht? Es hatte diesen einen Abend an der Schlei gegeben Bei diesem Seminar, dieser laue Abend am Steg mit Gitarrenspielen und Singen und dieser schlimmen Rede von Peter. Seine großspurige Art hatte sie abgestoßen, sie ging auf das Zimmer, dass sie ursprünglich mit Ingrid teilte, vorher war sie jede Nacht zu Peter geschlichen.
Peter war ihr nicht gefolgt, er war berauscht von seinen Worten.

"Da war dieser komische Abend an der Schlei, danach hast du dich zurückgezogen, ich bin gar nicht mehr an dich herangekommen", sagte Peter jetzt. "Oder war es schon früher losgegangen? In Hamburg? Mit dir war ja nicht mehr zu reden."
"Genau so habe ich es auch in Erinnerung, aber andersrum: Du warst so verschlossen", Clarissa fühlte eine tiefe Traurigkeit: "Du hast so viel Unsinn geredet, das Studium schmeißen, nach Nicaragua, alles verlassen und sich nicht von der Liebe korrumpieren lassen. Das vor allem und das vor der ganzen Gruppe."
Peter sagte mit vorwurfsvollem Unterton: "Aber ich meinte doch nicht dich. Außerdem waren wir ganz am Anfang. Und du hättest ja mit mir gehen können!"
"Ja, eben am Anfang. Du hast überall draufgehauen und ich spürte, das wird wieder und wieder passieren." Ich hätte dem nicht standgehalten, dachte sie, weil ich keine Kämpferin war und niemals sein werde.
"Ich fand mich konsequent." Jetzt schaute er sie an wie früher.
Clarissa wurde wütend: "Du bist mir aber nicht gefolgt und hast nie wieder was dazu gesagt. Für dich war die Sache klar. Vor allem hast du dich gegen mich ausgesprochen."
Clarissa nahm ihr Kleid wieder in die Hand: "Das Kleid für heute Abend. Ein Stück vom Saum ist lose."
Peter stand auf: "Du hast dich nicht verändert, Clarissa. Immer beschäftigt, immer auf der richtigen Seite. Du tust mir nur noch leid."
"Wahrscheinlich wären wir nach kurzer Zeit geschieden worden."
Es war ihr rausgerutscht, aber sie entschuldigte sich nicht.
"Wahrscheinlich. Also dann", sagte Peter und stand auf, "ich freue mich trotzdem auf heute Abend. Danke für die Einladung."

Jetzt haben wir nicht einen Moment an das Schöne gedacht. Das alte Bauernhaus in der hügeligen Landschaft, die wunderbaren Spaziergänge und Radtouren nach Sieseby und Rieseby und an der Schlei entlang über die Brücke bis nach Kappeln. Und an ihre Gewissheit, eine gemeinsame Zukunft zu haben.

 

 

 

 

 

Im Gästehaus

Fragen an Gabi Blonski

Du bist Theaterfrau, hast viele Stücke geschrieben, aber auch Prosa. Wie hältst du es mit dem Dialog?

Da ich vom Theater komme, stelle ich mir zuallererst die Figuren vor und setze sie sprachlich zueinander in Bezug. So definiere ich durch den Dialog den Rahmen, in dem sie agieren und in dem die Handlung abläuft.

Ich finde es eher erstaunlich, dass man nur über Dialog eine Geschichte erzählen kann.

Geschichten entstehen für mich über die Beziehung der beteiligten Personen und das Spannungsfeld, das sich aus ihren Befindlichkeiten ergibt. Ich erschaffe ihren Charakter mittels ihrer Sprache. Der Schauspieler interpretiert, setzt dann das Gesprochene in seinem Verständnis der Situation um - und genauso denke ich, tut es der Leser.

Das Spannungsfeld, das durch einen Dialog entsteht, definiert also deinen Erzähl-Raum.

Ja, daraus entsteht das große Ganze - der reale Raum, der psychische Raum, die Thematik der Handlung. Selbst wenn ich eine Landschaft beschreibe, stelle ich Menschen dort hinein und lasse sie durch deren Blick und Sprache bildhaft werden. Der Mensch mit seiner Subjektivität bildet immer das Fenster, durch das ich blicke.
Mich interessiert in erster Linie, wie andere mit dem Leben umgehen, nicht wie ich mit dem Leben umgehe. Ich bin Beobachterin, betrachte von außen.

Während ich aus meiner inneren Figurenwelt erschaffe, mich als Innenbetrachterin sozusagen ins Zentrum meiner Prosa packe, stellst du dich offenbar mehr an den beobachtenden Rand?

Ja, für mich ist es so, als würde ich meine Figuren am besten kennenlernen, wenn ich ihnen in ihren Gesprächen folge. Humor, Skurriles, absurde Schräglagen, die kleinen Schaltstellen, an denen Dinge aufeinanderprallen, werden durch die direkte Sprache sehr komplex und deutlich, jeder hat ja seinen ganz einzigartigen Sound.

Du konstruierst ihnen das Gesprochene nicht, setzt es ihnen nie auf?

Möglichst nicht. Natürlich basiert alles auf Erfahrungen, die ich irgendwann einmal mit Menschen gemacht habe. Dabei darf ich mich nur teilweise mit meinen Figuren identifizieren, denn sie sind ja jemand anderes als ich. Es geht auch nicht nur ums Reden - Schweigen oder Sprechrhythmus gehören ebenso dazu.

Gerät nun in deine Prosa automatisch viel Dialog?

Ja, er ist für mich ein wichtiges Ausdrucksmittel. Direkte Rede, auch Selbstgespräch bringen für mich die Befindlichkeit der Protagonisten am besten zum Ausdruck. Auch ihren inneren Sprachfluss schlüssele ich dialogisch auf. Zum Beispiel wird aus erinnerten Bildern ein erinnertes Gespräch, das ich direkt wiedergebe und mit inneren Kommentaren der verquicke. So hauche ich den Figuren Leben ein, zeige sie in ihrer Widersprüchlichkeit und Zerrissenheit und aus ihrem Gedankenfluss heraus.
Meine Prosa wäre sicher auch leicht für Film oder Theater umzusetzen.
Auf jeden Fall möchte ich den Zuschauer, den Leser von Anfang an einfangen, das gelingt mir durch den Dialog am besten.

 

Gabi Blonski
(Text, Regie, Bühne)

Ihre Ausbildung in Schauspiel und Bühnenbild absolvierte Gabi Blonski in Hamburg. Dort war sie u.a. am Theater im Zimmer, Thalia-Theater und Schauspielhaus tätig. Es folgte Arbeit an verschiedenen Jugendtheatern mit eigenen Stücken, u.a. eine Hamlet-Aufführung mit jugendlichen Rappern. Seit 1998 entstanden in Zusammenarbeit mit dem Komponisten Constantin Stahlberg eine Reihe von Musicals für das Kulturgut Hasselburg. Für das Projekt 'Musical at School' schrieb sie den Text für drei Musical-Prototypen, die regelmäßig aufgeführt werden.
Zur Zeit arbeitet sie an einem Roman.