Wir sind drei Autorinnen:

© Carmen Oberst
Marita Lamparter
schaut sich die Menschen genau an. Sie erzählt davon in Dorfgeschichten aus Westfalen und Stadtgeschichten aus Ottensen.

Renate Langgemach kann in ihren Romanen einen Hang zu in Schieflage geratenen Verhältnissen nicht verbergen.

Susanne Neuffer erzählt von Leuten, die sich und andere gern täuschen und meist unruhig unterwegs sind.

Das ist nun die 10. Blog-Ausgabe und für dieses Minijubiläum sollte es natürlich etwas Besonderes geben, ein bisschen Selbstlob und stolzen Rückblick darauf, wie wir uns in den bleiernen Monaten der Pandemie gegenseitig am Arbeiten und Austauschen gehalten haben. Wie immer kommt es anders, und so haben wir zwei Schwerpunkte in dieser Ausgabe.

Heinz Jahn, der Künstler, Herr der Farben und zarten Gespinste aus Ästen und Bändern, Spieler mit den Materialien, Mann unserer Mitautorin Renate Langgemach ist im März in seinem geliebten Frankreich gestorben. Er hat uns mit dem Logo und immer wieder mit Bildern und Abbildungen seiner Installationen versorgt. Wir widmen ihm Bild und Text.

Von Gudrun Hammer, der Vierten in unserem Literaturkomplott, das es jetzt diskutierend und lesend schon einige Jahre gibt, ist am 1. April ein neues Buch erschienen: Paul oder: Besuche in der Bilderkammer (Verlag Dreiviertelhaus, Berlin 2023). Dazu schreibt jede von uns ein paar Worte. Die erste Lesung im Literaturzentrum ist schon gelaufen, die nächste wird am 18.6. im Writers' Room stattfinden, siehe unten.

Gudrun Hammer und Marita Lamparter haben die Leipziger Buchmesse unsicher gemacht und berichten darüber.

Wie immer freuen wir uns über Rückmeldungen (aber ehrlich gesagt machen wir auch ohne weiter).

Susanne Neuffer

Heinz Jahn

Im Februar war die Welt noch in Ordnung. Im März starb völlig überraschend Heinz Jahn, mein Mann. Er war Maler und Bildhauer, hat lange in Frankreich, im Périgord, gelebt, seit kurzem im Wendland. Seine Arbeiten wurden in Museen und Galerien in Deutschland, Frankreich und der Schweiz gezeigt.
In seiner Malerei und Skulptur ging es ihm um abstrakte Formulierungen, vielfach gewonnen aus Naturbeobachtungen, und darum, Orte für seine Farben auf Vorgefundenem zu finden: alten Geschäftspapieren, Zweigen, Drähten, Schnüren. Abstraktes wurde auf diese Weise erzählerisch, bekam Humor und Leichtigkeit und gar einen Verweis in andere Dimensionen.

 

1°07'46'' – 44° 30'34''

Das lachende Feld

Vor dem Haus liegt ein Feld.
An jedem Tag berührt der Maler es mit den Augen.

Ein Feld ist zu allen Richtungen abgegrenzt.
Seine Grenzen sind Zäune, Knicks,
Lehmkrumen.
Im besten Falle gehen die Grenzlinien mit der Natur.
Im ungünstigeren Falle
sind sie gerade und eben.
Ein Feld kann vermessen werden.
Schnittpunkte eines Netzes,
das unsichtbar über das Feld gebreitet wird,
dienen als Markierung.
Der Blick des Malers
folgt dem Weizenlauf, Grasinseln,
den Krähen, die sich daraus erheben.
Er lotet das Feld mit seiner Phantasiezz
und breitet es auf seine Leinwand.

Er vermisst
eine innere Landschaft,
kennzeichnet sie mit Farben,
legt eine andere Art von Lineal
an das lachende Feld.

was macht er
der maler
in seinem stelzenhaus
im schwanenbrack
im schilfgrün

er malt stück für stück
mit den fingern
hanfschnüre an

fragt mich
bei seiner handfärberei
ob es den regenbogen gibt
und ich sage nein

verankert
sein haus mit seiner farbschnur
setzt ein zweigenest
in den baum
das den tod
umkehrt
mit seinem
rot, orange,
türkis und blau

dann schließt er die tür
von seinem vogelbau
liest thoreau
und snyder
und von der krähenfrau


am montag

am montag nicht wissen,
wovon am dienstag leben.
am dienstag kommt einer in not,
dem schenkst du,
was du noch hast.
am mittwoch kommt
ein bild in deinen sinn,
das will gemalt sein.
am donnerstag kommt eine,
die liebt dich,
der gibst du alles.
am freitag nicht wissen,
wovon am samstag leben.
der sonntag ist gottes.

Text und Lyrik
Renate Langgemach

Gudrun Hammer

Ein Seemann verschwindet, zwei Frauen suchen ein Grab, die eine findet etwas anderes, Erinnerungsbilder steigen hoch, einer will nicht der sein, für den er gehalten wird, das Leben der Protagonistin gerät aus dem Takt auf der Suche nach Vergewisserung.

Gudrun Hammers neues Buch ist da:
Paul oder: Besuche in der Bilderkammer
Verlag Dreiviertelhaus, Berlin 2023

Ich habe das Buch in einem Rutsch gelesen, es war spannend mit seinen Geheimnissen und seinen verschiedenen Ebenen. Besonders beeindruckt haben mich die berührenden und genauen Schilderungen der Kindheitserinnerungen. (Marita Lamparter)

Die Sprache der Autorin hat mich in ihren Text hinein gezogen und bis zum Schluss festgehalten, sie führt präzise und unaufgeregt durch die Geschichte. (Renate Langgemach)

Das Buch hat zu Recht das Wort „Bilderkammer“ im Titel: Szenen wie die auf dem Friedhof, im Atelier, in den Dunkelkammern der Kindheit und in der sehr norddeutschen Weinstube bleiben als starke Filmbilder im Kopf. (Susanne Neuffer)

Marita Lamparter
mit Gudrun Hammer auf der Leipziger Buchmesse 2023

Ist das hier ein Kollektiv?.
Ein junger Mann hält mir ein Handy vor die Nase. Ich erkenne ein Übersetzungsprogramm mit kyrillischen Buchstaben, wahrscheinlich aus dem Ukrainischen. Er fragt nach einem freien Platz in der S-Bahn von Bitterfeld nach Leipzig. Ja, Gudrun und ich reisen als kleinstes Kollektiv nach Leipzig zur Buchmesse, ein freier Platz ist trotz Fülle schnell für ihn gefunden. Er schenkt uns ein charmantes Lächeln und telefoniert mit zu Hause, strahlt ein unschuldiges Wo bin ich hier gelandet?“ mit seinem Gepäck und seinem offiziellen Brief in der Hand aus.
Wir sind guter Stimmung: Der ICE stand in Altona schon bereit und fuhr pünktlich los, kam aber etwas verspätet in Bitterfeld an. Macht nichts, die S-Bahn fährt im 10-Minuten-Takt zur Leipziger Messe.
Die Sonne scheint frühlingswarm im Osten, Kirschblüten am Wegesrand: Es ist der erste Messetag, Schulklassen kommen uns entgegen. Keine Schlangen vor den Kassen (es gibt einen Rabatt für Rentnerinnen und Rentner) und an den Garderoben - das hatten wir uns komplizierter vorgestellt. Wir sind drin in der großen Halle und laufen direkt zu einer Diskussion auf dem Roten Sofa. Es redet gerade Gert Scobel. Im Fernsehen wirkt er viel kompakter und der karierte Anzug steht ihm wirklich gut. Da sind wir uns einig. Aber weiter gehts, wir sind hier nicht zum Vergnügen.
Einen netten Kaffeestand zu finden stellt sich als kleine Expedition dar. Da in diesem Jahr Österreich das Gastland auf der Leipziger Buchmesse ist, ist für mich die Sache ganz klar: Dann wird es auch ein österreichisches Kaffeehaus geben, vielleicht sogar mit Sachertorte oder Kaiserschmarren. Träum weiter. Aber die Würstchen - immerhin gehen sie als Wiener Würstchen durch - sind in Ordnung. Wir sind auf der Buchmesse, nicht auf einer kulinarischen Ausstellung.
Von Zeit zu Zeit ist eine Positions- und Zielbestimmung das Allerwichtigste auf Reisen und Messebesuchen: Also wir gehen in Halle 5 zu den unabhängigen Verlagen.“ Gudrun hat um 15 Uhr ihren Termin bei dem Verlag Dreiviertelhaus.
Auf dem Weg dahin kommen wir an den Schulbuch- und Wissenschaftsverlagen vorbei. Beim einem großen Verlag für Psychologie und Psychiatrie machen wir halt. Die Bücher, überhaupt die ganze Anmutung: Vom Internetauftritt her hatte ich mir das ganz anders vorgestellt. Vielleicht passt da mein Buch rein? Wie würde es wohl aussehen?
Nur zwei Boxen weiter stellt sich ein weiterer Verlag vor, ein kleiner Stand, der sieht solide und interessant aus. Ich spreche die junge Frau an, riskiere es jetzt einfach mal und stelle mein Manuskript vor. Uns bleibt der Mund fast offen stehen: "Kommen Sie doch um 16.00 Uhr an den Stand und sprechen Sie mit der Chefin.
Dabei sagen doch alle, auf der Leipziger Messe ginge es nur um fertige Bücher und um Lesungen.
Aufbruchsstimmung in Halle 5. Wir gucken zum Nautilusverlag, da bauen sie noch auf, wir begrüßen ein paar Stände weiter Lou Probsthayn vom Quickie-Verlag, der seine neuen Bücher vorstellt.
Der Verlag Dreiviertelhaus aus Berlin ist schnell gefunden, hat seinen Stand direkt an einer Ecke. Sofort entdecken wir im Ausstellungsregal Gudruns Bücher mit der Novelle Paul oder: Besuche in der Bilderkammer. Sieht großartig aus. Gudrun wird vom Verleger Benedikt Viertelhaus aufs herzlichste begrüßt, zum ersten Mal begegnen sich Autorin und Verleger, Sympathie auf beiden Seiten. Es gibt sie also doch noch: die Freude des Verlegers am Buch und am Herausgeben. Benedikt Viertelhaus und Henning Hraban Ramm zeigen uns mit Enthusiasmus ihre neuen Bücher. Wer gerne vom Verlag Dreiviertelhaus und seinem interessanten, schön gestalteten Programm mehr erfahren möchte, hier:
https://www.dreiviertelhaus.de/

und ein interessantes Interview, direkt von der Messe:

literadio.org/hoerbeitrag
Aufbruchstimmung und Optimismus am Stand, Fotos werden gemacht, auch von Frank, einem Fotografen aus Hamburg. Gudrun strahlt. Wir gehen wieder in Halle 2, es ist Zeit für den Termin um 16.00 Uhr. Ein Gespräch, wie ich es mir immer gewünscht habe: Echtes Interesse an meinem Thema: Schriftstellerinnen und Schriftsteller, die Angehörige von psychisch Kranken sind. Wie verarbeiten diese Autorinnen und Autoren ihre Erfahrungen in ihren Werken? Ich bin so erfüllt von der ernsthaften Aufmerksamkeit, dass ich alles andere vergesse, am liebsten möchte ich jetzt sofort nach Hause fahren und weiter arbeiten.
Wir decken uns noch mit Lesestoff und Zeitungen für die Rückfahrt ein und gehen zum Stand eines bedeutenden Selfpublisher-Verlages. Der Stand ist hier der größte. Ich kenne eine engagierte Mitarbeiterin, da kommt sie schon auf mich zu: „Der Laden brummt, wir haben richtig viele Aufträge!“ Für meine kleinen „Dorfgeschichten“ empfiehlt sie mir eine Neuauflage, ich habe nur noch ein Exemplar.
Da ertönt schon eine Durchsage:
„Wir schließen in einigen Minuten. Die Leipziger Buchmesse dankt für Ihren Besuch.“

In der S-Bahn nach Bitterfeld sitzt uns eine junge Frau im Mangakostüm und mit perfektem Make-up gegenüber. Sie erzählt von sich, von ihrer Mutter aus Kasachstan, die so schlecht deutsch spricht, und von ihrem Kostüm, das aus der chinesischen Mythenwelt angelehnt ist, ganz weiß und flatternd. Sie erzählt in einem Tempo, schneller als Annalena Baerbock. Wir erfahren, dass es schwierig ist, solche Stoffe selber zu verarbeiten und dass die weißen Stiefel zu eng sind, sie hat sie im Internet bestellt. Der Tag war zu anstrengend für sie, dennoch geht sie morgen nach der Schule wieder auf die Messe. „Was soll ich bloß werden?", fragt sie uns, die welterfahrenen Frauen. "So wie Sie reden können, wäre Politikerin doch das Richtige.“ Sie staunt.
Im ICE nach Hamburg fragen wir uns, was aus uns und unseren Büchern wohl noch werden wird. Der Kopf ist voller Eindrücke, Bilder, Hoffnungen, das Kollektiv ist auf dem Heimweg an die Schreibtische …

Marita Lamparter

Termine:

Sehr salzige Sachen von der See
Gudrun Hammer liest aus „Paul oder: Besuche in der Bilderkammer“
Susanne Neuffer liest aus „Kühlschränke des Nordens“

18.6.2023
um 11 Uhr Writers' Room
Stresemannstrasse 374 Haus E, 22761 Hamburg

Bilderkammer und Wörterschrank
Gudrun Hammer, Marita Lamparter, Renate Langgemach und Susanne Neuffer lesen
zur „Langen Nacht der Literatur“ in der Bücherstube Langenhorn.

2.9.2023
Bücherstube am Krohnstieg
Tangstedter Landstr. 53 / Eingang am Krohnstieg
22415 Hamburg