Susanne Neuffer
Als es vorbei war 5
Die Veranstaltung war schon lange geplant worden. Monatelang? Oder waren es Jahre gewesen? In der letzten Zeit war es mühsamer geworden, den Überblick zu behalten, deshalb hatten sich viele ins Tagebuchschreiben gerettet, verzeichneten ihre wenigen Einkäufe und Begegnungen mit großer Sorgfalt, dazu ihre Gefühlsschwankungen, Bitterkeiten und trotzig-schnurrigen Anekdoten, und stellten alles ins Netz. Wo es niemand lesen wollte, weil alle in etwa dasselbe erlebt hatten, abgesehen von denen, die wirklich Schlimmes erlebt hatten. Aber die schwiegen.
Nun war also die Bühne aufgebaut, auf der großen Terrasse der Akademie, wo man sonst nur den Pausenwein getrunken hatte, jetzt aber gesungen und gelesen werden sollte. Es war Spätsommer, (aber welcher?), die Gäste bewegten sich unruhig drinnen und draußen, sie waren schon von Anfang an begeistert, benahmen sich wie gerettete Schiffbrüchige, übermütig, laut.
Als ich an der Reihe war, las ich drei Geschichten, die mir schon lange am Herzen lagen, und wartete auf den Beifall. Er kam nicht. Ich nickte bestätigend, dankte fürs Zuhören. Wieder nichts. Das war ungewöhnlich, Auch schwache Texte bekommen üblicherweise eine Art Höflichkeitsapplaus. Die Moderatorin reagierte schnell, sie kam auf die Bühne. Warum ich nicht auf die Lage eingegangen sei, fragte sie. Man sei doch nun am Ende des Tunnels angekommen und erwarte von der Kunst, das hinter uns Liegende zu verarbeiten. Ob meine Entscheidung, Geschichten ohne Bezug auf die Ereignisse beziehungsweise Nichtereignisse dieser Phase vorzulesen, eine bewusste gewesen sei. Ich dachte nach, weil ich keine Antwort wusste, und nahm die Lesebrille ab, so dass ich das Publikum genauer sehen konnte, das von allen Seiten näher gerückt war. Etwas stimmte nicht mit den Leuten. Jetzt sah ich es: Ihre nun wieder nackten Gesichter waren in der oberen Hälfte kräftig gebräunt, windgegerbt, in der unteren kalkweiß, wie aus Papier. Gleich würden sie beginnen mich einzukreisen und schreiend eine Hälfte abzureißen. Aber welche?
Die Kunst, sagte ich hastig, ist immer zu früh oder zu spät dran, raffte meine Papiere und Röcke, stolperte von der Bühne, floh aus dem Saal, wo sich langsam ein schwächlicher Applaus erhob.
Als es vorbei war 1 - 4
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oder bei susanne-neuffer.de