Susanne Neuffer
Die Überfahrt
Wer außer einer Fähre kann noch laut ins Horn stoßen um zu sagen: Da bin ich! Aus dem Weg! Ich bin so lang und breit, dass eine Begegnung mit mir für nichts und niemanden gut ausgehen kann!
Es ist nicht klug, denke ich, all diese Lastwagen und Züge auf die Fähre zu lassen. Sie hat schon so viel geladen, was sie nach unten drücken könnte.
Was wiegt eine Geschichte? Muss die Zahl der Passagiere mit Heimweh und derer mit Fernweh ausgeglichen sein?
Oben in der Pianobar, wo die Fähre leicht ist, spielen die Kellner in schwarzen Westen und weißen Schürzen Szenen einer vergangenen Seefahrt.
Das Paar in der Sofaecke ist noch kein Paar, es sind zwei Einzelne, die einem Sonderangebot gefolgt sind. Die Frau muss jetzt beginnen. Sie schüttelt den Schmuck an ihren Ohren und legt dem Mann die Hand in den Nacken, während sie einen Cocktail bestellt, der nach einem Polarforscher benannt wurde. Es gibt nur eine Hinfahrt und eine Rückfahrt, dazwischen liegt ein eiliger kalter Landgang, von dem nichts zu erwarten ist als Fremdheit und verständliche Fehleinschätzungen.
Vertragsgemäß betanzt eine glitzernde junge Frau die Fläche in der Mitte der Bar, ihr Haar ein Bienenkorb, der eine andere Zeit zitiert, ihr enges Kleid leuchtet grün wie ein Versprechen auf das Polarlicht, das größere Anstrengungen verlangt als diese Passage.
Hinter der Fähre liegt Weihnachten, sie fährt auf Silvester zu, aber dazwischen liegt viel weiße Watte. Sie macht vom Nebelhorn Gebrauch und schwankt nachdrücklich.
Überraschend groß und fahrlässig ist die Selbstverständlichkeit, mit der die Leute in einem vielstöckigen Haus das Meer befahren und Schnittchen essen, auf denen das Fleisch der Lachse angerichtet ist. Ungesehen geht der Kapitän durch sein Schiff.