Susanne Neuffer
Als es vorbei war 5

Die Veranstaltung war schon lange geplant worden. Monatelang? Oder waren es Jahre gewesen? In der letzten Zeit war es mühsamer geworden, den Überblick zu behalten, deshalb hatten sich viele ins Tagebuchschreiben gerettet, verzeichneten ihre wenigen Einkäufe und Begegnungen mit großer Sorgfalt, dazu ihre Gefühlsschwankungen, Bitterkeiten und trotzig-schnurrigen Anekdoten, und stellten alles ins Netz. Wo es niemand lesen wollte, weil alle in etwa dasselbe erlebt hatten, abgesehen von denen, die wirklich Schlimmes erlebt hatten. Aber die schwiegen.

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Die eine rauscht rein, die andere träumt im Morgengrau:
Der Mythos vom ersten Satz

Renate Langgemach: Bei mir ist es so: Zuerst ergibt sich ein Thema. Das umkreise ich mit Notizen, Lektüre, ersten Passagen. Damit vergeht beim Roman mindestens ein halbes Jahr, bei Kurzgeschichten ist’s naturgemäß kürzer!

Marita Lamparter: Ich fange auch mit einer Notiz an, einem Einfall. Inzwischen weiß ich, das ist Warmschreiben, das streiche ich später.

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Marita Lamparter
hat sich für einen Anfang entschieden:

Welches Schiff kommt heute vorbei?

Das Schleusenhäuschen. Es war ein kleines eingeschossiges Haus aus roten Backsteinen mit einem fast quadratischen Grundriss.
Darin saß der Schleusenmeister, der mit seinen Hebeln die großen Schleusentore in Bewegung setzen konnte.
Obwohl das Schleusenhäuschen klein war, höchstens drei Menschen konnten sich gleichzeitig darin aufhalten, strahlte es dennoch Wichtigkeit und Bedeutung aus, denn es stand oberhalb der Schleuse, es konnte vom Wasser schon von weitem gesehen werden und bot den Überblick über Schleuse und Brücke. Die Schiffe kamen voll beladen aus dem Dortmunder Hafen, dem Ruhrgebiet, beladen mit Kohle. Für diese Transporte war der Kanal ja vor über 100 Jahren gebaut worden, vom Ruhrgebiet über den Kanal und die Ems bis nach Papenburg und bis zur Nordsee.
Binnenschiffer, das ist ein wichtiger Beruf, das lernen die Kinder im Kanaldorf in der Schule. Oft stehen sie auf der Brücke, verfolgen das Schleusen und gucken von oben auf die Schiffe.

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Renate Langgemach
liebäugelt mit dem Untergang:

Auf hoher See

Den Titel übrigens hat sie sich beim absurden Theater von
Slawomir Mrozek ausgeliehen.

Auch die Großen, Majestätischen, können wie eine Nussschale sinken, in die das Wasser einläuft, während man nach Backbord strauchelt um es auszuschöpfen. Durch diese Bewegung schluckt das Boot noch einmal kräftig und taumelt in die Tiefe. Wenn man Glück hat, erwischt man ein Ruder oder die mit Kork ausgeschlagene Vorratskiste und hält sich über Wasser, bis man gerettet ist.
Als die Meldung kam, hatte der Kapitän die Eisnadel schon gesichtet. Sie schwankte über der Wasseroberfläche, störendes Objekt in voller Fahrt voraus. Es war Nachmittag, eine Ansammlung von Abenteurern mit Anspruch auf die Geborgenheit einer Wiege lagen an Deck, ihre Füße in Tücher gewickelt. Die Nadel am Horizont bedeutete, dass er vor die Öffentlichkeit treten und über Schwachstellen einer Stahlkonstruktion beim Aufprall auf Eisriesen hinwegtäuschen musste. Auf Luxuslinern erwartet man den Kapitän persönlich, sein Anblick erhöht Laune und Lebensgefühl, Erstkontakt über Mikrofon, legte er sich zurecht, dann Uniform und unter die Menschen, falls noch erforderlich.

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